Rendezvous mit Biss: Roman (German Edition)
entsprach dem aktuellen Trend. Die Gräfin besaß Klasse und Geld, sie musste niemandem irgendetwas beweisen. Die Gemälde an den Wänden – unter anderem ein grässliches Bild von Thomas Eakins aus dem 19. Jahrhundert, das Chirurgen in einem Operationssaal zeigte, und ein großes Ölgemälde von John Trumbull aus dem 18. Jahrhundert mit einer Szene aus dem Unabhängigkeitskrieg – sprachen Bände über ihren Geschmack. Ich machte Tallmadge auf die Bilder aufmerksam.
»Hm, ja. Sie hat den Trumbull vom Künstler selbst gekauft. Sie kannte auch Washington, dessen Hauptquartier sich ganz in der Nähe in Morristown befand«, erklärte er, nachdem wir unsere Mäntel dem Dienstmädchen gegeben hatten. Wir betraten einen luftigen Ballsaal mit hoher Decke, der die gesamte Längsseite des Anwesens der Gräfin einnahm. Der Raum eignete sich hervorragend für Empfänge und Partys, war mit einigen Stühlen und Tischen jedoch nur spärlich möbliert. Abgesehen von den Bediensteten war der Raum leer. Wir schienen die Ersten zu sein. Tallmadge nahm sich ein Glas Champagner vom Tablett eines vorbeigehenden Kellners und bot es mir an, doch ich verneinte kopfschüttelnd.
»Warst du damals auch hier? Zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges, meine ich?«, fragte ich, während wir auf das Eintreffen der anderen Gäste warteten.
»Ja. Ich war ein Patriot und ein Spion«, erwiderte er knapp. »Das bin ich noch immer.«
Ich zog die Augenbrauen hoch. Seine Offenheit überraschte mich. »Warum hast du dann so lange gezögert, ein Dark Wing zu werden?«
»Weil ich glaube, dass J und seine Bürokratenbosse allesamt Idioten sind, mit Ausnahme deiner Mutter vielleicht. Lass uns das Thema wechseln. Du siehst heute Abend ganz bezaubernd aus«, stellte er fest und prostete mir zu.
»Danke. Das erinnert mich an etwas, das ich dich fragen wollte: Spielt man dieses Spiel ernsthaft in festlicher Kleidung? In diesen Schuhen kann ich unmöglich durch einen Irrgarten laufen.«
Er sah mich befremdet an. »Warum solltest du auch? Wir verwandeln uns natürlich.«
»In unsere Fledermausgestalt?« Ich vermochte meine Überraschung nicht zu verbergen.
»Warum nicht? Hier auf dem Anwesen sind wir vollkommen unter uns. Es besteht keine Gefahr, von Außenstehenden gesehen zu werden. Für einige von uns ist das die einzige Gelegenheit, überhaupt fliegen zu können.« Tallmadge lächelte zufrieden. »Es ist einfach herrlich, sich zu verwandeln!«
»Aber dann haben die Menschen kaum noch eine Chance, uns zu entkommen. Erscheint mir nicht sonderlich fair.«
»Ich habe niemals behauptet, dass die Jagd fair ist. Ich sagte, dass es Spaß macht«, erwiderte er, leerte sein Glas und organisierte sich ein neues. »Die Opfer wissen nichts von unserer Verwandlung. Das gibt einen ganz schönen Kick, wenn sie uns das erste Mal auf sich zukommen sehen.«
»Das wette ich. Terror ist wirklich ungemein unterhaltsam«, sagte ich mit sarkastischem Unterton.
»Daphne, du bist prüde. Außerdem unterschätzt du die Macht deines Instinkts. Wie jedes wilde Tier verlieren wir, sobald die Jagd beginnt, jeglichen Anflug von Moral. Wir verwandeln uns in unser ursprüngliches Selbst zurück. Das ist etwas sehr Elementares, kein zivilisierter Mist. Ich empfinde diese Erfahrung als außergewöhnlich befreiend.« Seine Wangen begannen zu glühen, und er verströmte eine unglaubliche Energie. Die Vorfreude auf die Geschehnisse der Nacht versetzte ihn in einen unübersehbaren Zustand der Erregung. Ich fragte mich, an welchem Punkt der Sex ins Spiel kam, denn in Verbindung mit der Jagd und dem Trinken von Blut spielte er sicherlich ebenfalls eine Rolle.
Ich war im Gegensatz zu Tallmadge überhaupt nicht aufgeregt, sondern machte mir vielmehr Sorgen. Obwohl ich nüchtern war und wusste, was auf mich zukam, befürchtete ich, irgendwann die Kontrolle zu verlieren – besonders dann, wenn ich mich in meine Fledermausgestalt verwandelte und damit die Bestie in meinem Innern freiließ. Je schneller ich Benny fand und uns beide hier fortschaffte, desto besser.
Während Tallmadge und ich warteten, packte am anderen Ende des Raumes eine Band Schlagzeug, E-Gitarren und ein Keyboard aus. Mozart schien am heutigen Abend wohl nicht auf dem Programm zu stehen. Die Bandmitglieder hatten entweder lange Haare oder einen rasierten Schädel, waren alle tätowiert und trugen Lederwesten oder -jacken über freiem Oberkörper. Da einer von ihnen so ähnlich aussah wie Tommy Lee, überlegte ich, ob es
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