Rendezvous mit einem Mörder
Eierspeise nicht zu essen, wäre eigentlich eher Joe selbst schuld an seinem Ableben, und nicht ich. Aber das ist jetzt egal.« Sie saß auf ihrem Stuhl und wartete geduldig ab.
»Mrs. Finestein, wollen Sie damit sagen, Sie hätten eine Eierspeise mit einem synthetischem Zyanidpräparat vergiftet, um Ihren Ehemann zu töten?«
»Nein, meine Liebe. Ich will damit lediglich sagen, dass ich Zyanid und eine Extradosis feinen Zucker in eine Eierspeise getan und meinem Mann ausdrücklich verboten habe, auch nur ein Löffelchen davon zu essen. ›Joe‹, habe ich gesagt. ›Am besten schnupperst du noch nicht einmal an dieser Eierspeise. Sie ist nämlich nicht für dich, Joe, hast du mich verstanden?‹«
Wieder sah Hetta Eve mit ihrem sanften Lächeln an. »Er sagte, er hätte mich verstanden, und dann, bevor ich losging, um meine Freundinnen zu treffen, habe ich es ihm extra noch einmal gesagt, nur um sicherzugehen. ›Ich meine es ernst, Joe. Du lässt die Eierspeise stehen.‹ Natürlich bin ich davon ausgegangen, dass er sie essen würde, aber es war seine eigene Entscheidung, nicht wahr? Lassen Sie mich Ihnen von Joe erzählen«, bat sie Eve im Plauderton und hielt ihr noch einmal den Plätzchenteller hin. Als Eve sichtlich zögerte, lachte sie fröhlich auf. »Oh, meine Liebe, diese Plätzchen sind vollkommen ungefährlich, das verspreche ich Ihnen. Eben noch habe ich ein Dutzend davon dem netten kleinen Jungen von oben mitgegeben.«
Wie um das Gesagte zu beweisen, biss sie selbst in einen Keks.
»Nun, wo war ich stehen geblieben? O ja, bei Joe. Wissen Sie, er war mein zweiter Ehemann. Im April wären wir fünfzig Jahre verheiratet gewesen. Er war ein guter Partner und auch ein guter Bäcker. Es gibt Männer, die niemals aufhören sollten zu arbeiten. In den letzten Jahren hatte ich es sehr schwer mit ihm. Ständig war er schlecht gelaunt, ständig hat er sich über alles Mögliche beschwert, ständig an allem herumgenörgelt. Und er selbst hat in der Küche keinen Finger mehr gerührt, obwohl er derjenige war, der nicht an einem Mandeltörtchen vorübergehen konnte, ohne es sofort zu verschlingen.«
Weil das alles beinahe vernünftig klang, wartete Eve einen Moment, ehe sie fragte: »Mrs. Finestein, Sie haben ihn vergiftet, weil er zu viel aß?«
Hettas rosige Wangen wurden noch eine Nuance röter. »So könnte es scheinen. Aber es geht tiefer. Sie sind so jung, meine Liebe, und Sie haben keine Familie, nicht wahr?«
»Nein.«
»Eine Familie ist eine Quelle des Trostes und zugleich eine Quelle des ständigen Ärgers. Kein Außenstehender kann je wirklich verstehen, was sich innerhalb einer Familie abspielt. Es war nicht leicht, mit Joe zu leben, und obwohl ich nicht gern schlecht von einem Toten spreche, muss ich sagen, dass er in den letzten Jahren unangenehme Angewohnheiten entwickelte. Es bereitete ihm große Freude, mich traurig zu machen, mir das kleinste Vergnügen zu zerstören. Erst letzten Monat hat er die Hälfte des Kuchens aufgegessen, den ich für den Internationalen Betty Crocker Kochwettbewerb gebacken hatte. Zusätzlich hat er gesagt, er wäre sowieso zu trocken gewesen.« Ihre Stimme verriet ehrliche Empörung. »Können Sie sich das vorstellen?«
»Nein«, sagte Eve mit schwacher Stimme. »Das kann ich nicht.«:ix.
»Tja, das hat er nur getan, um mich wütend zu machen. Es war seine Art, Macht zu demonstrieren. Also habe ich die Eierspeise zubereitet,’ ihm gesagt, er soll sie ja nicht anrühren und bin aus dem Haus gegangen, um mit meinen Freundinnen wie jede Woche Mah-Jongg zu spielen. Ich war nicht im Geringsten überrascht, als ich nach Hause kam und feststellte, dass er nicht auf mich gehört hatte. Wissen Sie, dafür war er viel zu verfressen.« Sie wedelte mit dem Rest von Ihrem Plätzchen und schob es sich dann vorsichtig in den Mund. »Dabei ist Völlerei eine der sieben Todsünden. Es erschien mir einfach richtig, dass er durch eine seiner Sünden sterben würde. Sind Sie sicher, dass Sie nicht doch noch einen Keks möchten?«
Die Welt war eindeutig ein Irrenhaus, wenn alte Frauen Eierspeisen vergifteten, um sich ihrer nörgelnden Ehemänner zu entledigen. Wahrscheinlich, dachte Eve, als sie das Haus verließ, käme Hetta dank ihres ruhigen, altmodischen, großmütterlichen Gebarens sogar ungestraft davon. Falls man sie doch verurteilte, würde sie bestimmt Küchendienst bekommen und voller Freude Pasteten und Törtchen für die anderen Gefängnisinsassinnen backen.
Eve
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