Rendezvous mit Mr Darcy
Schüssel an ihrem Griff hoch, während ihr Herz nach unten plumpste.
»Ein Nachttopf?«
»Ja.«
»Aber irgendwo muss es doch ein Wasserklosett geben.«
»Einen Korb mit Lappen finden Sie unter Ihrem Bett. Die Kammerzofe wird sich um alles kümmern, wenn Sie fertig sind.«
Die arme Kammerzofe!
»Ich werde ein kurzes Schläfchen halten.« Mrs Cres-cent rieb sich den Bauch. »Ich werde in letzter Zeit immer so schnell müde. Gewöhnen Sie sich ein! Wir werden die nächsten beiden Tage damit verbringen, Ihre Kenntnisse in Französisch, im Tanzen und am Pianoforte zu verfeinern. Wir müssen viel nachholen, und die Aufgabe des Tages lautet, Schreibfedern zu spitzen.«
Chloe drängte sich bei dieser Bemerkung die Erinnerung an eine Szene aus Stolz und Vorurteil auf, in der Caroline Mr Darcy anbietet, seine Feder zu spitzen, und sie musste kichern. Was für ein Spaß das wohl werden würde, im Gegensatz zu dem entsetzlichen Gedanken an einen Nachttopf. Sie stellte diesen auf die Holzdielen. Man versuchte, sie kleinzukriegen, um aus ihr die verrückte Heulsuse zu machen, die gute Einschaltquoten bringen würde.
»Komm, Fifi!« Mrs Crescent verließ Chloes Boudoir.
Ein Kameramann filmte Chloe, wie sie auf den Nachttopf starrte, bis sie die Tür vor ihm schloss. Es musste sich dabei um den für sie bestimmten Kameramann handeln, denn er schien ihr überallhin zu folgen. Der schlaksige Kerl, vielleicht Ende zwanzig, gab, ebenso wie das übrige Kamerateam, nie einen Ton von sich.
Sie stellte den Nachttopf wieder zurück auf das Regal unten in der Anrichte. Das Ganze erinnerte sie an die Zeit, als sie Abigail beigebracht hatte, aufs Töpfchen zu gehen. »Irgendwo muss es doch eine Toilette geben«, sagte sie laut.
Sie öffnete die Tür, und der Kameramann folgte ihr, während sie durch Bridesbridge sauste und hinter jeder Tür nachsah. Die Zimmer mit ihren neoklassizistischen Uhren, den orientalischen Vasen und dem silbernen Tafelaufsatz, die ihr vorher so gut gefallen hatten, zogen verschwommen an ihr vorbei. Einige Türen waren abgeschlossen, und sie war mehr denn je davon überzeugt, dass sich hinter einer davon eine Toilette befand. Gerade als Chloe an dem silbernen Türknauf der letzten verschlossenen Tür rüttelte, tauchte Grace auf.
»Suchen Sie etwas, Miss Parker?«, fragte sie mit gleichmütiger Stimme.
»Sie haben nicht zufällig einen Schlüssel für ein Wasserklosett, oder?«
Grace lächelte und fingerte an ihrer Chatelaine herum. »Ich habe von einigen sehr wohlhabenden Häusern gehört, die diese neumodischen Wasserklosetts eingebaut haben, doch ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie in Amerika an eine solch luxuriöse Ausstattung gewöhnt sind. Wir haben nichts dergleichen hier auf Bridesbridge.«
Chloe ließ den Türknauf los. Sie konnte ihre Blase kaum noch halten und sauste in Windeseile die Treppe hoch, nahm dabei zwei Marmorstufen auf einmal, sodass sie beinahe mit dem Butler zusammenstieß, der einen Brief auf einem Silbertablett trug.
»Ein Brief für Sie, Miss Parker.«
Hätte sie nicht ein so dringendes Bedürfnis verspürt, wäre das ein denkwürdiger Moment gewesen. Der Butler überreichte ihr tatsächlich einen Brief, versiegelt in einem Umschlag. Keine E-Mail, keine SMS , keine Twitter-Nachricht.
»Danke«, sagte sie daher nur kurz, als sie den Brief eilig aus seiner Hand nahm. Sie sprang die Stufen hoch, schlug die Tür zu, indem sie ihre Hüfte dagegenschwang, warf den Brief auf den Schreibtisch und stellte sich grätschend über den Nachttopf. Sie hob ihr Kleid hoch, bückte sich, so weit es die Miederstange erlaubte, löste die Bänder ihrer Unterhose, zog sie aus und hockte sich hin, als wäre sie im Wald. Noch nie in ihrem Leben war sie sich weniger damenhaft vorgekommen. Und die Lappen – igitt! Sie trug den Nachttopf vorsichtig zurück zur Anrichte und schlug ein Tuch darüber. Gott sei Dank war sie nicht für die Rolle einer Kammerzofe besetzt worden. Während sie ihre Hände in der Schüssel auf dem Waschtisch wusch, entdeckte sie eine weiße Kugel, die nicht größer war als ein Osterei aus Zucker. Nach dem Acht-Stunden-Flug, einer staubigen Kutschfahrt, dem Nachttopf und einem Haus ohne Klimaanlage war sie verschwitzt und brauchte eine Dusche – ähm – ein Bad. Sie klingelte nach Fiona und betrachtete den Brief auf dem Schreibtisch. Er konnte nicht von Abigail sein, denn dafür war es nicht nur zu früh, es fehlte auch eine abgestempelte Briefmarke darauf. Auf dem
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