Rendezvous mit Übermorgen
dass sie inzwischen auf ihrem eigenen Fachgebiet ein ebenso perfekter Profi war wie der König, dem sie gleich gegenübertreten sollte, auf dem seinigen. Also trat sie betont selbstsicher durch die Tür.
Drinnen war es warm. Henry stand mit dem Rücken vor einem kleinen Kamin. Darren schloss die Tür hinter Nicole und ließ sie allein. Befangen wickelte sich Nicole aus ihrem Schal und zog den Reißverschluss des Parkas auf. Sie nahm die Schneebrille ab. Danach starrten sie einander zwanzig, dreißig Sekunden lang wortlos an, und beide wagten es nicht, das mächtig strömende Gefühl abzuschalten, das sie beide nun über fünfzehn Jahre hinweg wieder zurückversetzte zu jenen zwei herrlichen Tagen.
»Hallo, Nicole«, sagte der König. Seine Stimme klang weich und zärtlich. »Hallo, Henry«, antwortete sie. Er kam um das Sofa herum auf sie zu, womöglich um sie zu berühren, aber da war etwas in
ihrem körpersprachlichen Ausdruck, das ihm Einhalt gebot. Er griff nach der Armlehne der Couch.
»Magst du dich nicht setzen?«, bat er einladend.
Nicole schüttelte den Kopf. »Ich bleib lieber stehen, wenn es dir nichts ausmacht.« Wieder stand sie wartend sekundenlang da. Und wieder verfingen sich ihrer beider Blicke tief in wortlosem Austausch. Und trotz der warnenden Stimmen fühlte Nicole sich wieder zu dem Mann hingezogen. »Henry«, brach es plötzlich aus ihr hervor, »warum hast du mich hierher bestellt? Es muss was Wichtiges sein. Es ist ja schließlich kaum normal, dass der englische König seine Tage in einem Schweizer Chalet an einem Skihang absitzt.«
Henry schritt in die Ecke des Raums. Er kehrte ihr den Rücken zu, bückte sich und sagte: »Ich hab dir zu deinem sechsunddreißigsten Jahresfest ein Geschenk mitgebracht.«
Nicole musste lachen. Die Spannung löste sich ein wenig. »Ich habe doch erst morgen Geburtstag. Aber wieso ...«
Er hielt ihr einen Datenkubus entgegen. »Das da ist das wertvollste Geschenk, das ich für dich finden konnte«, sagte er ernst. »Und es hat die königliche Privatschatulle um etliche Mark erleichtert, bis das kompiliert war.«
Sie schaute ihn fragend an.
»Ich mache mir schon seit einiger Zeit Sorgen wegen dieser Mission, die ihr da vorhabt«, sagte Henry. »Am Anfang wusste ich nicht, warum. Aber vor ungefähr vier Monaten, abends, ich spielte grad mit Prinz Charles und Prinzessin Eleanor, wurde mir bewusst, was mich beunruhigte. Meine Intuition sagt mir, dass eure Besatzung für Schwierigkeiten programmiert ist. Sicher, ich weiß, das klingt absurd, besonders wenn ich es sage ... aber ich mache mir keine Sorgen über die Ramaner. Dieser Brown hat bei all seinem Größenwahnsinn möglicherweise recht, dass diese Ramaner sich einen Dreck um uns Erdenwürmer kümmern. Aber du, du wirst hundert Tage lang auf engstem Raum mit elf anderen ...«
Er begriff, dass Nicole ihm nicht zu folgen vermochte. »Da«, sagte er. »Nimm den Würfel! Ich habe meine Sicherheitsabteilung beauftragt, über jeden aus dem Newton-Dutzend, auch über dich, ein ausführliches vollständiges Dossier zu erarbeiten.« Nicole zog die Brauen zusammen. »Diese Informationen, und zum großen Teil sind sie in den offiziellen ISA-Akten eben nicht enthalten, bestätigen mich in meiner persönlichen Überzeugung, dass es im Newton-Team eine ganze Reihe instabiler Elemente gibt. Ich wusste nicht so recht, was ...«
»Das alles gehört doch wohl kaum in deinen Befugnisbereich!«, unterbrach Nicole ihn zornig. Sie fühlte sich durch sein Vorpreschen in ihre Arbeitsphäre beleidigt. »Wieso musst du dich einmischen in ...«
»He, wart mal! Beruhige dich erst einmal, ja?«, sagte der König. »Ich versichere dir, meine Motive sind durch und durch anständig. Schau mal«, fügte er hinzu, »vielleicht wirst du all diese Informationen gar nicht brauchen, aber ich hab mir halt gedacht, vielleicht sind sie für dich nützlich. Nimm sie. Schmeiß sie weg, wenn du willst. Schließlich bist du die Biologin. Mach damit, was du willst.«
Henry merkte, dass er die Begegnung vermasselt hatte. Er entfernte sich von Nicole und setzte sich mit dem Rücken zu ihr in einen Sessel am Kaminfeuer.
»Pass gut auf dich auf, Nicole«, murmelte er.
Sie dachte lange nach. Dann schob sie den Daten-Würfel in ihren Parka und trat hinter den König. »Danke, Henry.« Sie legte ihm leicht die Hand auf die Schulter., Er wandte sich nicht zu ihr um. Seine Hand griff nach der ihren, und zögernd schlössen sich seine Finger um die
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