Rendezvous mit Übermorgen
Gast für die Nacht empfangen. Aus dem Augenwinkel sah Nicole, wie links Francesca dem General Borzow den letzten Tropfen« Wein anbot. Nicole gelang es nicht, ihr Panikgefühl unter Kontrolle zu bekommen.
»Nicole, was ist denn mit Ihnen?«, fragte Janos, der gemerkt hatte, wie beunruhigt sie war.
»Nichts«, antwortete sie. Sie nahm alle Kraft zusammen und stand auf. »Irgendwas, was ich gegessen habe, ist mir wohl nicht bekommen. Ich glaube, ich gehe in meine Kabine.«
»Aber dann verpassen Sie doch den Film nach dem Dinner«, sagte Janos witzelnd. Nicole zwang sich ein gequältes Lächeln ab. Er half ihr, gerade zu stehen. Nicole hörte Lady Macbeth ihren Gemahl wegen seiner mangelnden Courage abkanzeln, und wieder schoss eine Woge angstvoller Vorahnung durch ihren Kopf. Sie wartete, bis der Adrenalinausstoß sich gesenkt hatte, dann murmelte sie der Gruppe eine leise Entschuldigung zu und ging zu ihrer Kabine.
17 Tod eines Soldaten
Nicole war in ihrem Traum wieder zehn Jahre alt und spielte in dem Gehölz hinter dem elterlichen Haus in Chilly-Mazarin am Rand von Paris. Plötzlich überkam sie das Gefühl, ihre Mutter liege im Sterben. Das kleine Mädchen geriet in panische Angst. Sie lief ins Haus, um es dem Vater zu erzählen. Eine kleine fauchende Katze versperrte ihr den Weg. Nicole blieb stehen. Sie hörte einen Schrei. Sie bog vom Pfad ab und lief durch die Bäume. Die Aste zerkratzten ihr das Gesicht. Die Katze folgte ihr. Nicole hörte noch einen Schrei. Als sie erwachte, sah sie das furchterfüllte Gesicht von Janos Tabori über sich geneigt. »Es geht um General Borzow«, sagte er. »Er hat unerträgliche Schmerzen.«
Sie sprang rasch aus dem Bett, schlüpfte in ihren Mantel, ergriff die Arzttasche und folgte Janos auf den Gang. »Es sieht nach einer Blinddarmentzündung aus«, sagte er beiläufig, während sie auf die Lobby zustrebten. »Aber ich bin nicht sicher.«
Irina Turgenjew kniete neben dem Kommandanten und hielt ihm die Hand. Der General lag auf einer Couch. Das Gesicht war weiß, die Stirn schweißbedeckt. »Ah, da kommt ja Dr. des Jardins.« Er zwang sich ein Lächeln ab, versuchte sich aufzurichten, stöhnte vor Schmerz und ließ sich wieder sinken. »Nicole«, sagte er leise, »ich habe entsetzliche Schmerzen. Ich hab sowas noch nie erlebt, nicht mal in der Armee, als ich verwundet wurde.«
»Wann haben die Schmerzen eingesetzt?« Nicole hatte ihren Scanner und den Biometrie-Monitor hervorgeholt, um seine Vitaldaten zu checken. Mittlerweile hatte sich Francesca mit ihrer Videokamera dicht hinter Nicoles rechter Schulter platziert, um die Ärztin bei ihrer Diagnose zu filmen. Nicole scheuchte sie mit einer ungeduldigen Handbewegung weg.
»Vor ungefähr zwei, drei Minuten«, keuchte der General mühsam. »Ich saß hier auf einem Stuhl, schaute mir den Film an, lachte gerade herzlich, wenn ich mich recht erinnere, als da plötzlich dieser heftige scharfe Schmerz im rechten Unterleib kam. Es war, wie wenn irgendwas mich von innen raus verbrennt.«
Nicole programmierte den Scanner, die letzten drei Minuten der Hakamatsu-Sondenaufzeichnungen in Borzows Körper exakt zu durchforschen. Sie konnte den Beginn der Schmerzen mühelos anhand der Pulsfrequenz und der Endokrinsekrete fixieren. Dann rief sie von allen Kanälen einen »Full Dump«, die für die fragliche Zeit interessanten Gesamtdaten ab. »Janos«, bat sie ihren Kollegen, »gehen Sie rüber ins Magazin und bringen Sie mir das tragbare Diagnosegerät.« Sie reichte ihm das Codekärtchen für die Tür.
»Sie haben leichtes Fieber, was darauf hinweist, dass Ihr Körper sich gegen einen Infekt wehrt«, sagte Nicole zum General. »Sämtliche Internangaben bestätigen, dass Sie heftige Schmerzen haben.« Kosmonaut Tabori kam mit einem kleinen kastenförmigen elektronischen Apparat zurück. Nicole entnahm ihrem Scanner einen kleinen Datenkubus und schob ihn ins Diagnosegerät. Nach etwa dreißig Sekunden blinkte der Minimonitor und zeigte an: APPENDICITIS-WAHRSCHEINLICHKEIT 94%. Nicole drückte eine Taste, auf dem Bildschirm erschienen die sonstigen möglichen Diagnosen, u.a. Hernie, innere Muskelzerrung und toxische Reaktion. Aber das Diagnosegerät gab dafür jeweils nur zwei Prozent Wahrscheinlichkeit an.
An diesem Punkt bleiben mir zwei Möglichkeiten, überlegte Nicole, als der General erneut schmerzvoll stöhnte. Ich kann sämtliche Daten für eine vollständige Diagnose zur Erde senden ... Sie blickte
auf ihre Uhr und
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