Rendezvous um Mitternacht
keine Spur zu sehen. Ich schlenderte zu seinem Auto zurück und wartete. Es kam mir vor wie Stunden, bis er endlich auftauchte. »Wo warst du?«, fragte ich, sobald er herangekommen war.
»Ich habe eine halbe Stunde lang mit dem Eisbären gekuschelt. Und du?«
»Du hast dich hinter dem Eisbären versteckt?«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
»Ich hab mich aus der Vordertür geschlichen, als Dillon im Büro verschwunden war. Ich war ganz sicher, dass er dich sehen würde!«
»Ich wollte gerade zu dir gehen, um zu sehen, wie weit du bist, da sah ich aus dem Flur, wie die Klinke der Vordertür gedrückt wurde. Ich hatte keine Wahl, als zurückzugehen und mich hinter dem Bären zu verstecken, bis er weg war. Übrigens war es nicht Dillon.«
Erstaunt fragte ich: »Nicht? Wer dann?«
Stevens Augenbrauen zogen sich zusammen. »Mein Vater. Komm! Auf zu Gilley. Ich habe da etwas, was er zerhacken soll.«
Kurz darauf betraten wir Helens Bed & Breakfast. Inzwischen war es dunkel und recht kühl geworden. Ich freute mich sehr über das Feuer, das im Kamin brannte. Gilley saß auf der Couch, ein dickes Kissen unter dem Po und eine Wolldecke über den Knien, und tippte wie wild auf seinen Laptop ein.
»Hallo, Gil«, begrüßte ich ihn.
»Oh! Hallo, ihr beide«, erwiderte er überrascht, als er uns sah. »Ich hatte euch gar nicht erwartet, aber gut, dass ihr da seid. M. J., ich hab da was ausgegraben!«
Steven nahm in einem Ohrensessel Platz. »Erzähl.«
Vor Aufregung ganz zapplig, begann Gilley mit seinem Bericht. »Okay, ihr wolltet doch, dass ich Maureens und Mirabelles Vergangenheit überprüfe? Ja, also ich sag euch was: Diese Maureen war eine total wilde Nudel! Meine Recherchen haben ergeben, dass sie in Philadelphia ein ziemlich sehenswertes Vorstrafenregister hatte, einschließlich Schwarzbrennerei und Wucherkredite, dann hat sie ihre Akte saniert und ist nach Uphamshire gezogen. Hier hat sie einen Job bei deinem Großvater angenommen, Steven, und allem Anschein nach hat er sie seinen anderen Angestellten gegenüber deutlich bevorzugt, denn irgendwann hat er ihr ein Stückchen Land überschrieben.«
Steven und ich lächelten einander verstohlen an, als Gilley uns erzählte, was wir schon wussten. Aber keiner von uns hatte das Bedürfnis, ihm das zu sagen.
»Und das hat Andrew Sable in all der Zeit nur ein weiteres Mal getan.«
»Er hat einem anderen Angestellten ein Stück Land gegeben?«, fragte Steven. »Wem?«
»Letztes Jahr hat er einem Mr Willis Brown zwei Morgen Land samt darauf befindlichem Häuschen übertragen.«
Steven nickte und gab Gilley ein Zeichen fortzufahren.
»In beiden Fällen war die Übertragung auf Lebenszeit angelegt, aber als Maureen starb, hat Andrew ihren Vertrag erweitern lassen, sodass er auch Mirabelle einschloss.«
»Was heißt auf Lebenszeit?«, fragte ich.
»Das heißt, dass nach dem Tode der Bewohner das Land wieder an meinen Großvater und seine Erben zurückfallen würde«, sagte Steven. Ich sah ihn erstaunt an, und er erklärte: »Mein Großvater interessierte sich sehr für die juristische Seite des Immobilienbesitzes. Er hat mir manches darüber erzählt.«
Gilley nickte eifrig. »Ja, und da kommen wir zum Knackpunkt.
Den Bezirksakten zufolge läuft gerade ein Verfahren vor dem Nachlassgericht, in dem es um Mirabelles lebenslanges Nutzungsrecht geht. Es ist anscheinend ungültig.«
»Warum soll es ungültig sein?«, fragte Steven.
»Der Kläger behauptet, Mirabelle sei zur Zeit der Übertragung noch nicht volljährig gewesen. Mit anderen Worten, man muss achtzehn sein, um so was in Anspruch nehmen zu können, und als der Vertrag unterzeichnet wurde, war Mirabelle nach Darstellung des Klägers erst siebzehn.«
Stevens Brauen zogen sich zusammen. »Warum sollte jemand außer mir das anfechten?«
»Eine Klage kann jeder erheben. Dazu muss man nicht unbedingt ein Interesse am Gegenstand der Klage haben«, hielt Gilley dagegen.
»Zahlt sich richtig aus, die Affäre mit deinem Immobilientypen, was?«, neckte ich ihn.
»Bradley ist ein wahrer Quell an Information«, gab Gilley großspurig zurück.
»Und wer ist denn nun der Kläger?«, wollte Steven wissen.
Gilleys Augen funkelten – es war offensichtlich, dass nun der Knüller kam. »Dein Vater«, sagte er dramatisch.
»Lächerlich«, schnaubte Steven. »Was geht es meinen Vater an, wenn Mirabelle ein Stück Land bewohnt, das mir gehört?«
Wieder leuchteten Gilleys Augen. Mir schwante schon, dass
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