Rendezvous um Mitternacht
gehässig.
Ich beobachtete die Szene schweigend und fragte mich, was dahintersteckte. Es war offensichtlich, dass es an der Geschichte zwischen Annalise und Steven senior einige Aspekte gab, die ich nicht kannte.
»Er hat sich geändert, Steven.«
»Blödsinn.«
»Er meint, er will endlich Teil ihres Lebens sein. Er ist bereit, sich der Verantwortung zu stellen und sich um uns zu kümmern.«
Steven betrachtete sie angespannt, sein Mund ein dünner Strich, der Ärger und Frustration verriet. Dann sagte er sehr leise: »Annalise, bitte. Sei vernünftig. Der Kerl kann dir viel erzählen. Aber eines Tages wird er dich wieder im Stich lassen, so wie er meine Mutter und mich im Stich gelassen hat. Wenn du ihm vertraust, wird er euch nur wehtun.«
Jetzt wurde Annalise sauer. »Das reicht«, versetzte sie kurz. »Es geht dich sowieso überhaupt nichts an. Ich weiß zu schätzen, wie viel du für uns getan hast, Steven, aber was deinen Vater angeht, ist deine Meinung viel zu sehr von deinem Hass auf ihn geprägt. Ich entscheide selbst, was für Shanah und mich am besten ist.«
Während der Erwiderung sah Steven sie unverwandt an. »Ich habe nur noch eine Frage«, sagte er bedächtig. »Woher willst du wissen, dass es diesmal anders ist? Dass er sich wirklich geändert hat?«
»Ich habe ihm in die Augen gesehen, Steven. Er hat es ehrlich gemeint. Er sagte, es sei an der Zeit, dass er den Mut zeigt, Verantwortung für Shanah zu übernehmen. Er ist sogar bereit, einen Vaterschaftstest zu machen.«
Stevens Miene verdunkelte sich. Der Blick, mit dem er die Tischplatte anstarrte, jagte mir richtig Angst ein. Nach längerem unbehaglichem Schweigen sagte er: »Komm, M. J. Zeit zu gehen.«
Ich bedachte Annalise mit einem bedauernden Schulterzucken und stand ebenfalls auf. »Danke für den Kaffee«, sagte ich noch, ehe ich ihm aus der Küche folgte.
»Nichts zu danken«, murmelte sie, ohne sich umzudrehen.
Schweigend fuhren wir zum B&B zurück. Ich hatte das Gefühl, in Steven brodelte es, und wollte nicht den Deckel anheben, also ließ ich ihn in Ruhe. Bei Helen angekommen, nahm ich eine rasche Dusche und kam dann mit Doc auf der Schulter nach unten zum Frühstück.
Gilley saß bereits am Tisch, das dicke Kissen wie gestern unter den Po gestopft. »Hi, Baby«, begrüßte er mich erfreut.
»Doc will Beeren!«, krächzte mein Vogel.
»Hallo Gil.« Ich nahm Platz und setzte Doc auf den Tisch vor die Schale Blaubeeren, die Helen ihm hingestellt hatte.
»Wo ist Doc Sahneschnitte?«, fragte Gil.
Ich sah mich um. »Keine Ahnung. Wahrscheinlich oben und brütet vor sich hin.«
Gil grinste. »Hast du ihn letzte Nacht ausgesperrt?«
Mir schoss das Blut in die Wangen, und ich langte rasch nach dem Teller mit den Pfannkuchen. »Neee«, gab ich langgezogen zurück. »Ich hab vorhin beim Joggen das Auto seines Vaters vor dem Haus dieser hübschen Kellnerin gesehen, und als ich ihm davon erzählte, wollte er partout sofort hinfahren.«
»Er hat sich seinen Vater vorgeknöpft?«
Ich steckte mir ein Stück Pfannkuchen in den Mund, ehe ich antwortete. »Nein, der war schon weg. Aber er hat sich die Kellnerin vorgenommen.«
»Gibt’s da einen Zusammenhang zu unserer Geschichte?«, wollte Gil wissen.
»Es scheint, als hätte Steven senior noch ein zweites Kind.«
»Die Kellnerin?!«
»Nein, die Tochter der Kellnerin. Die arme Kleine ist geistig behindert und hat auch ein paar körperliche Probleme.«
»Sieht sie Steven senior ähnlich?«
Ich zuckte die Achseln. »Hauptsächlich sieht sie ihrer Mutter ähnlich. Aber könnte schon sein. Man müsste einen Bluttest machen, um ganz sicher zu sein, aber aus der Unterhaltung ging klar hervor, dass Steven senior das vorhat.«
Gil dachte einen Augenblick nach. »Hm, das wäre wahrscheinlich ein Nachkomme, über den er die volle Kontrolle ausüben könnte. Jemand, der ihn nie infrage stellen würde. Jemand, den er problemlos in irgendeine Einrichtung stecken könnte, wenn er wollte …« Gilley brach ab. Ich saß starr da, die Gabel auf halbem Weg zum Mund, weil mir schwante, dass Steven senior vermutlich genau das vorhatte. »Oh Mann.« Ich legte die Gabel auf den Teller zurück. »Daran hatte ich nicht gedacht. Du hast recht. Er hat so viel Geld, dass er sich bestimmt das Sorgerecht erstreiten könnte. Dann könnte er das Mädchen für den Rest ihres Lebens in einem Heim verschwinden lassen und brauchte sich keine Sorgen zu machen, dass sie ihm etwa als Erwachsene die Hölle
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