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Renegade

Renegade

Titel: Renegade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. A. Souders
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Gesicht geschrieben steht.
    Als wir an einer
Gasse vorbeigehen, packt mich plötzlich ein merkwürdiges Gefühl, und ich bleibe
stehen. Irgendetwas in dieser Gasse zieht mich fast schon magisch an. Ich gehe
bis zum Ende der Sackgasse und lege eine Hand an die raue Ziegelmauer. Vor
meinem inneren Auge taucht ein so deutliches Bild auf, dass es sich nur um eine
Erinnerung handeln kann: ein Abbild des Großen Platzes. Hastig weiche ich zurück
und pralle dabei gegen den Wachmann, der es nicht mehr schafft, mich
aufzufangen, sodass ich falle. Schnell hilft er mir auf und erkundigt sich, ob
es mir gut geht, doch ich starre nur wie gebannt auf die Mauer. Was war das? Wieder drücke ich die Hand gegen die Ziegel,
aber diesmal passiert nichts.
    Â»Miss Evelyn, was
ist los?« Die Frage des Wachmanns lenkt mich ab, und der letzte Rest der Erinnerung
verschwindet, als wäre nie etwas gewesen.
    Â»Nichts … ich habe
nur …« Gerade noch rechtzeitig halte ich inne. Bevor ich nicht sicher weiß, was
ich eben gesehen habe, sollte ich niemandem davon erzählen. »Ich wollte nur
kurz die Ziegel berühren. Sie sind so schön rau«, erkläre ich ihm, drehe mich
um und gehe zurück zum Großen Platz. Ganz bewusst lasse ich dabei die Finger
über die Ziegelmauer gleiten. Er sagt zwar nichts, aber ich spüre, dass er mir
nicht glaubt.
    Als wir endlich die
Laboratorien erreichen, betrete ich sofort das Genlabor und suche nach meiner
besten Freundin Macie – ich entdecke sie an einem der Mikroskope. Seit meinem
ersten Besuch vor sechs Jahren hat sich das Labor kein bisschen verändert. Die
Wände, der Boden und die Decke sind weiß. Es gibt keinen Ausblick nach draußen,
und ich frage mich immer wieder, wie Macie in einer so klaustrophobischen Atmosphäre
überhaupt arbeiten kann. In der Mitte des Raumes stehen die Labortische in drei
langen Reihen, ausgestattet mit zwölf Mikroskopen pro Reihe. An die Wände sind
weitere weiße Tische gerückt, auf denen seltsame Gerätschaften aufgebaut sind,
die ich nicht kenne.
    Auch Macie hat sich
nicht verändert. Lediglich ihre Haare sind kürzer; die langen Zöpfe, die sie
getragen hat, als wir zehn waren, sind verschwunden. Und nachdem sie ihre Augen
letztes Jahr hat operieren lassen, ist ihre Brille im Recycling gelandet. Doch
ansonsten sieht sie noch genauso aus wie früher.
    Ich habe keine
Erinnerung daran, wie wir uns kennengelernt haben, doch sie ist der einzige
Mensch in meinem Leben, den ich als wahren Freund bezeichnen kann. Ihr vertraue
ich fast so sehr, wie ich mir selbst traue. Und ich hoffe, dass sie ebenso
empfindet, denn jetzt brauche ich ihre Hilfe.
    Â»Macie!«
    Sie blickt auf, und
ihre burgunderroten Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. »Na, sieh mal einer
an, was die Flut hereingespült hat. Lange nicht gesehen.« Ich versinke in ihrer
herzlichen Umarmung – Macie ist ein paar Zentimeter größer als ich. »Ich weiß,
tut mir leid. Manchmal verfliegt die Zeit einfach so schnell, und ich weiß
nicht, wo sie geblieben ist.«
    Macie lacht
fröhlich. »Geht das nicht jedem so? Erst neulich habe ich mit Nick darüber
gesprochen. Die Arbeit nimmt mich so in Anspruch, dass ich sogar die
Verabredungen mit ihm vergesse.«
    Â»Dann trefft ihr
euch also immer noch?«
    Â»O ja.« Ihre blauen
Augen funkeln, als sie stolz erklärt: »Wir haben unsere Gentests bestanden und
sind zur Verpaarung zugelassen.«
    Â»Wirklich? Das ist
ja großartig! Ich freue mich für euch.« Ich umarme sie noch einmal.
    Â»Danke. Aber
irgendwie habe ich das Gefühl, dass ihm das alles zu schnell geht. In den
letzten Tagen summt er ständig so ein Kinderlied vor sich hin.«
    Kichernd erkläre ich
ihr: »Wahrscheinlich stellt er sich nur vor, was für hübsche Babys ihr bald
haben werdet.«
    Sie löst sich aus
unserer Umarmung und sieht mich traurig an. »Es tut mir so leid.«
    Â»Was denn?« Sie kann
nicht wissen, weshalb ich hier bin. Wahrscheinlich ahnen nicht einmal die
Wachen, was vorgeht, und außer Mutter – die kein Sterbenswörtchen verraten
würde – sind sie die einzigen, die unsere Abmachung begriffen haben könnten.
    Macie wirft mir
einen merkwürdigen Blick zu. »Ich habe gehört, dass Timothy verschwunden ist.
Und ich weiß doch, wie nah ihr euch gestanden habt.«
    Â»Wer?« Verwirrt
runzele ich die Stirn.

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