Renner & Kersting 01 - Mordsliebe
Alleinstehende, Kranke und Alte. Und da habe ich eben erzählt, ich gehörte dazu und Frau Fränzke stünde nun auch auf unserer Liste.”
Helga blieb vor Staunen die Luft weg. „Das hat sie dir abgenommen? Die hat doch nie im Leben eine Kirche von innen gesehen.”
„Höchstens bei ihrer Taufe”, lachte Ali. „Ich denke, die hielt mich für eine Art von Sozialarbeiterin, bei der man zusätzliche, finanzielle Zuschüsse abstauben kann. Sie ließ mich jedenfalls ohne Kommentar herein. Meine Güte, sah es da aus! Ich habe gedacht, mich könnte kaum noch etwas überraschen, weißt du, ich war wirklich mal beim Besucherservice und was ich da gesehen habe … aber diese Wohnung samt Bewohner ist eine Klasse für sich. Ehrlich gesagt, ich traute mich kaum, mich zu setzen, so schmutzig war alles. Glücklicherweise trug ich eine lange, alte Hose. Dann hat mir die Fränzke Mineralwasser angeboten, in einem Glas mit Lippenstiftresten rund um den Rand. Überall stand gebrauchtes Geschirr. Ich glaube, die Frau weiß gar nicht, dass Wasser auch zum Waschen da ist. Und die vielen leeren Flaschen! Dazu das Altpapier und die vollen Mülltüten. Es stank abscheulich. Und dann hat sie noch ein Kind! Ein kleines Mädchen lief in der Wohnung herum, fettige Haare, Schniefnase, natürlich kein Taschentuch, und seit Tagen nicht gewaschen – nach dem Geruch zu urteilen. Wie kann eine Mutter ihr Kind so verkommen lassen? Der Frau müsste man verbieten, weiterhin Kinder in die Welt zu setzen. Und dann … Wusstest du, dass dieses entsetzliche Weib schon wieder schwanger ist?” Ohne Helga Zeit für eine Antwort zu lassen, fuhr sie fort: „Sie hat einen neuen Freund, der sie auch heiraten will, deshalb wird sie bald anders heißen, das war übrigens das erste, was sie mir erzählte. Offiziell ist er arbeitslos, aber in Wirklichkeit arbeitet er für Eddi Lembert. Ich nehme an, von dem hast du schon gehört? Er ist hier so eine Art Lokalgröße, König der hiesigen Halbwelt, kein eindeutiger Krimineller, aber auch kein anständiger Bürger, nach dem was so geredet wird. Ihr Typ hat ihr eine Kette geschenkt, die hat sie mir gezeigt, unechte Perlen, für ein paar Euro in jedem Kaufhaus zu bekommen. Möchte wissen, was der Kerl ihr erzählt hat, dass sie so stolz darauf ist. Vermutlich hat sie bisher kaum Geschenke bekommen. Na, was soll’s. Also, was denkst du?”
Helga musste sich erst einmal einen Moment von dem verbalen Überfall erholen, bevor sie begriff, dass Ali eine Antwort erwartete.
„Was meinst du? Was soll ich denken?”
„Na hör mal, immerhin hat sie durch ihren Freund Kontakte zum kriminellen Milieu.”
„Das ist eine reine Vermutung, die uns überhaupt nicht weiterhilft. Außerdem ist Lembert kein Verbrecher, jedenfalls nicht im eigentlichen, bösartigen Sinne, das hast du gerade selbst gesagt, und ich habe es im Kollegium gehört.”
„Was denn? Du wusstest, dass da eine Verbindung besteht und hast mich nicht informiert?”
„Was ist daran wichtig? Es nützt uns nichts, das zu wissen.”
„Na, wenigstens hätte ich mich auf den Besuch etwas besser vorbereiten können, wenn ich vorher über die Verhältnisse Bescheid gewusst hätte. So musste ich aus dem Stegreif improvisieren. Die Frau glaubt jetzt, sie bekäme demnächst Geld von der Kirche.”
Helga lachte. „Solange sie keine Anfrage an den Pfarrer richtet, ist das doch egal, soll sie glauben, was sie will.”
„Der traue ich durchaus zu, dass sie nachfragt”, stellte Ali ächzend fest. „So dumm sie einerseits ist, so dreist ist sie aber auch. Was soll ich bloß dem Pastor erzählen? Dummerweise habe ich ihr auch noch meinen Namen genannt.”
„Nun warte erst einmal ab, außerdem bist du erfinderisch und kannst so gut bluffen, dass dir sicher etwas einfallen wird.”
Ali grinste schon wieder. „Stimmt!”, bestätigte sie voller Selbstvertrauen.
„Du hast eine Menge erfahren, aber was das alles mit Bennis und Sandras Ermordung zu tun haben soll, ist mir schleierhaft. Tut mir Leid, aber ich finde die Verbindung zu diesem Zuhälter nicht sehr verdächtig.”
„Nein? Ich schon! Da sollten wir einhaken.”
„Auf keinen Fall! Oder willst du dich etwa bei den Huren umhören?”
„Mir fällt schon noch etwas ein.”
Für eine Weile blieb es still. Während Helga an ihrem Kaffee nippte, beobachtete sie misstrauisch die neue Freundin, deren gerunzelte Stirn konzentriertes Nachdenken verriet. Langsam setzte Helga die Tasse ab. Ali würde sich
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