Renner & Kersting 01 - Mordsliebe
nicht, obwohl andererseits … Plötzlich redeten alle durcheinander, bis sich Steffis klare Stimme heraushob: „Na ja, für mich ist es egal, wo ich meinen Charlie ausführe. Ich werde noch ein paar Tage weitermachen.”
„Eine Woche noch, keinen Tag länger!”
Mit diesem Kompromiss konnten die meisten leben, und bis auf einige wenige waren alle bereit, es so lange noch zu versuchen.
„Gut, also, was haben wir bisher festgestellt?” Aufmerksamkeit heischend, setzte Ilse ihr geleertes Glas etwas lauter ab als notwendig. Die Karten steckten längst wieder wohlverwahrt in der Tasche. „Mir ist zum Beispiel aufgefallen, dass immer noch Kinder im Park spielen. Helga, du musst versuchen, sie davon abzuhalten. Rede mit deinen Schülern! Und die Zeitungen sollten die Eltern noch viel intensiver warnen, ihre Kinder dort spielen zu lassen. Tina, bist du noch mit diesem Redakteur befreundet? Könntest du dich darum kümmern?” Ilse war in ihrem Element und verteilte die Aufgaben. „Außerdem hätte ich noch einen Vorschlag. Da wir uns abwechseln und immer zu unterschiedlichen Zeiten dort sind, wäre es besser, wenn jeder wüsste, welche Personen sich regelmäßig dort aufhalten. Das geht nur, wenn wir die Leute, die wir häufiger sehen, fotografieren, so dass jeder sich die Gesichter merken kann. Das ist gar nicht so schwierig, tut einfach so, als ob ihr eure Hunde fotografiert oder die Blumen, was weiß ich. Mit etwas Phantasie und gutem Willen dürfte das kein Problem sein.”
Die aufkommenden Proteste wurden schnell unterdrückt. Einen Fotoapparat besaß jeder, und so schwierig war die Aufgabe nun wirklich nicht. Helga dachte an Ali. Obwohl äußerlich völlig unterschiedlich – Ilse wirkte wie ein Überbleibsel der Hippie-Zeit, während Ali stets elegant auftrat – waren sie in einem Punkt gleich: Beide wussten genau, was sie wollten, und strahlten eine Energie und Tatkraft aus, der kaum jemand widerstehen konnte.
13
Als Helga zwei Tage später frühmorgens vom Parkplatz zur Schule hinüberging, kam ein Junge auf sie zugelaufen, um sich über seine Mitschüler zu beklagen: „Die ärgern mich dauernd. Sagen Sie denen, sie sollen weggehen.”
„So, was machen sie denn?” Helga sah ein paar feixende Kinder im Schuleingang verschwinden.
„Die sagen immer Kotelett-Gesicht zu mir”, schluchzte der Kleine. In seinen großen Augen glomm hilflose Wut, während er die Hände zu Fäusten geballt hatte. Helga konnte sich das Lachen nur mit Mühe verkneifen.
„Komm mit mir! Wir gehen den Weg gemeinsam, dann wird denen schon die Lust vergehen”, meinte sie und fuhr dann fort: „Sag mal, du bist doch der Alex aus Benjamins Klasse?”
„Hmm.”
„Kanntest du Benni gut?”
„Hmm.”
„Habt ihr manchmal zusammen gespielt?”
„Manchmal.”
„Dann gehörtest du sicher auch zu seiner Bande, was?”
„Was für ne Bande?”
Offensichtlich hatten die Detektive ihre Geheimhaltung sehr ernst genommen. Helga versuchte es erneut.
„Was habt ihr denn so gemacht?”
„Och, eigentlich nichts.” Alex stotterte, begann nervös mit dem Fuß zu scharren. Sie standen jetzt vor dem Schulgebäude. Durch die gläserne Eingangstür waren noch immer Alex’ kichernde Klassenkameraden zu sehen. Suchend blickte der Junge sich um, fand jedoch keine Möglichkeit, den unbequemen Fragen zu entkommen.
„Weißt du, ob Benni einen Computer hatte?”
„Klar, ne Playstation, hat doch jeder.”
„Aha, und einen großen, ich meine einen PC, besaß er den auch?”
Alex überlegte eine Weile, schaute nach unten und trat von einem Bein auf das andere. Mit langen Schritten nahte Frau Stellmann, die braune Schultasche in der einen, mehrere prall gefüllte Stoffbeutel, aus denen Tonpapier herausragte, in der anderen Hand. Sie stockte, als sie Alex erkannte, warf der Kollegin einen neugierigen Blick zu, um dann grußlos ins Gebäude zu stürmen. Als sie fort war, blickte der Junge verschmitzt grienend wieder auf.
„Hm”, meinte er. „Soll ich Ihnen mal ein Geheimnis verraten?”
Helga stöhnte unhörbar auf. Benjamin schien von Geheimnissen umgeben gewesen zu sein.
„Na?”
„Aber Sie dürfen es nicht weitersagen, das musste ich dem Benni versprechen. Aber jetzt ist er ja tot. Da darf ich es Ihnen doch erzählen, oder?”
„Ja sicher, erzähl mal!”
„Also, das war so: Der Benni, der durfte immer mit dem Computer von Müller spielen!”
„Von welchem Müller?”
„Na Mörtel-Müller, Sie wissen
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