Renner & Kersting 01 - Mordsliebe
Schule beobachteten.
„Na schön, dann werde ich mir also die Lehrer vornehmen”, entschied Masowski und fragte: „Was ist mit Fränzke? Hast du den schon besucht?”
„Das hatte ich jetzt vor. Kommst du mit?”
„Natürlich. He, vergiss den Schirm nicht.”
Der Regen ließ bereits nach, als sie langsam vom Parkplatz fuhren. Während sie an der Ampel zur Feithstraße auf grün warteten, gaben die Wolken die Sonne frei, und das Wasser in den Pfützen begann zu dampfen.
15
Nachdem Ali gegangen war, hatte Helga den Rest des Nachmittags mit der Vorbereitung der nächsten Jahrgangskonferenz verbracht. Es ging um die ersten Aufsätze, die geschrieben und beurteilt werden mussten. Welche Kriterien sollte sie zugrunde legen, und wie sollten die Schüler beurteilt werden, die kaum Deutsch sprachen?
Helga stöhnte, als sie sich die Diskussionen vorstellte, denen sie sich mit ihren Vorschlägen würde stellen müssen. Doch es ging nicht an, anderen Schulen nachzueifern. Ebenso wenig wie man Kinder miteinander vergleichen konnte, konnte man Schulen vergleichen, zumal die Verhältnisse in den Wohngebieten völlig unterschiedlich waren.
Gerade hatte sie Teewasser aufgesetzt, da klingelte das Telefon.
„Sie haben gesagt, für ein gutes Essen würden Sie fast alles tun. Hätten Sie Lust, heute Abend zum Griechen zu gehen? Bei Hermes gibt es ein phantastisches Gyros mit Metaxasauce und Käse überbacken.”
Viel zu verwundert und auch zu ehrlich, um vorzugeben, nicht zu wissen, wer da anrief, stimmte sie nach kurzem Zögern zu. Freudige Erwartung breitete sich in ihr aus. Er hatte sie nicht vergessen! Warum auch? Schließlich war sie mit einundvierzig noch immer eine gut aussehende Frau. Oder spürte sie da eine kleine Unsicherheit? Hatten Hans-Werners Vorwürfe doch tiefer getroffen als sie es sich eingestehen wollte? Seit ihrer letzten, bösen Auseinandersetzung hatte sie einiges von ihrer Selbstsicherheit Männern gegenüber eingebüßt.
Vor vier Jahren lernte sie ihn auf der Geburtstagsfeier einer Kollegin kennen, wo er sie mit seinem Charme und seinem unwiderstehlichen, ein wenig traurigen Lächeln im Sturm eroberte. Anfangs ließ sie sich seine Bevormundungen gern gefallen. Als Unternehmer auf vertrautem Fuße mit den Honoratioren der Stadt, führte er sie in eine ihr bis dahin unbekannte Welt. Sie wurden zu großartigen Partys eingeladen, denen jedoch die Spontaneität abging. Vor den sorgfältig arrangierten Büffets unterhielten sich die Männer über Geschäfte und Jagderfolge, die Frauen über Kreuzfahrten und Parfums. Als die erste Verliebtheit abflaute, das Geblendetsein von den Spitzen der Gesellschaft nachließ und der gesunde Menschenverstand wieder einsetzte, erkannte sie, wie oberflächlich und gewinnorientiert er und seine Freunde eigentlich waren. Neue Bekannte wurden stets nach ihrem gesellschaftlichen Status und ihrem Nützlichkeitsgrad beurteilt und ausgewählt. Wer sich nicht entsprechend revanchieren konnte, besaß keine Chance, in den Freundeskreis aufgenommen zu werden. Sie erinnerte sich noch gut an ihr Entsetzen, als sie dies zum ersten Mal feststellte.
Es war im Spätherbst gewesen, kurz nach ihrem ersten Treffen. Hans-Werner hatte sie in die Jagdhütte eines Freundes mitgenommen, der dort seinen Geburtstag feierte. Natürlich drehte sich die Unterhaltung der Männer ausschließlich um die Jagd. Da sie auch unter den Frauen keine interessante Gesprächspartnerin fand, langweilte Helga sich bald. Mit einiger Verspätung – „Mein Frauchen konnte ihr Kleid nicht finden!” – erschien ein Paar, das so gar nicht in den illustren Kreis passte. Beide strahlten Lebensfreude und Natürlichkeit aus und besaßen einen herzerfrischenden Humor. Die trockene Art, mit der der junge Mann Helga gegenüber die angeblichen Jagderfolge kommentierte, brachte sie zum Lachen. Auch Hans-Werner amüsierte sich köstlich und trank mehr, als er vertragen konnte. Damals schob sie es auf die ausgelassene Stimmung, die unter den Männern herrschte. Erst einige Festlichkeiten später erkannte sie, wie wichtig Alkohol für ihn war.
Bei den Frauen ging es sehr viel maßvoller zu. Sie hielten sich bei harten Getränken zurück, da die meisten anschließend ihre Göttergatten heim zu fahren hatten. Spät am Abend, als diese sich absonderten, um untereinander deftige Zoten auszutauschen, unterhielt Helga sich etwas intensiver mit der jungen Frau und verstand sich prächtig mit ihr. Endlich jemand, der auch über
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