Renner & Kersting 01 - Mordsliebe
Freude sich in Enttäuschung verwandelte. „Oh, ich … ich dachte …”
Sie hatte die Hoffnung nie aufgegeben, dass Vater und Sohn sich eines Tages wieder näher kommen würden. Kurz streifte ihn der Gedanke, Käthe nach dem Grund des Anrufes zu fragen, dann schob er ihn beiseite. Die Haushälterin hatte stets auf Neutralität geachtet und nie mit dem einen über den anderen gesprochen. Er umarmte die alte Frau noch einmal flüchtig, bevor er zum Arbeitszimmer hinüberging.
Aufrecht und steif wie ein altgedienter General thronte der Professor hinter seinem Schreibtisch aus echter Moor-
eiche. Verschiedene Papiere lagen mit ihren Schmalseiten genau parallel zur Tischkante ausgerichtet. Unwillig runzelte er die Stirn, als sein Sohn den Raum ohne Anklopfen betrat. Nur einen Lidschlag lang blieb Klaus an der Tür stehen und betrachtete den alten Mann, der zu überlegen schien, ob er sich erheben sollte oder nicht. Schließlich stand er auf und reichte dem Sohn die Hand. „Schön, dich zu sehen”, sagte er ohne einen Anflug von Wärme in der Stimme. Die langen, schmalen Finger wiesen auf den Besucherstuhl. „Setz dich doch.”
Wie immer, wenn er in dem Raum mit den hohen Fenstern stand, fühlte der Polizist sich wieder wie der kleine Junge, der bei einem Streich erwischt worden war. Bücherregale aus dunklem Holz füllten zwei Wände. Auf einem besonderen Brett reihten sich die Fachbücher aneinander, deren Verfasser Doktor Albert Kersting war. Es war der Wunsch des alten Herrn gewesen, dass sein Sohn sich einen Beruf wählte, der ihn ausfüllte und ihm Freude bereitete. Seltsamerweise begannen die Auseinandersetzungen zwischen ihnen, als er genau das getan hatte, überlegte dieser nun. Wieder einmal dachte er daran, wie wenig die Ansichten seines Vaters mit dessen Äußerungen übereinstimmten, zumindest im familiären Bereich. Er riss sich zusammen. „Guten Tag Vater.” Wenn auch keine Freundschaft, so herrschte doch Höflichkeit zwischen ihnen. „Was willst du?”
„Dass du dich endlich hinsetzt.” Damit nahm Kersting senior seine teure Designerbrille ab, hielt sie zwischen Daumen und Zeigefinger und schwenkte sie ungeduldig hin und her.
Es widerstrebte dem Sohn zutiefst, wie ein Besucher vor dem Schreibtisch seines Vaters Platz zu nehmen. Also wandte er sich zum Fenster, blickte kurz in den Garten hinaus, in dem die Magnolienbäume zu blühen begannen, und drehte sich dann mit einem Ruck herum. „Warum hast du im Büro angerufen?”
„Nun, ich möchte dir etwas sagen … ich denke, es ist besser, du erfährst es von mir, statt aus der Zeitung.” Er legte die Brille auf einen Stapel Papiere und richtete sie parallel zu dessen Kante aus.
Klaus betrachtete das optische Prunkstück, dann hob er fragend eine Augenbraue.
„Also, es ist so, dass … ich werde demnächst wieder heiraten.”
Dem Sohn verschlug es die Sprache. Unterwegs hatte er über mögliche, wahrscheinliche und völlig ausgeschlossene Gründe für das Treffen nachgedacht. Aber dieses Vorhaben seines Vaters war in keiner der drei Spalten aufgetaucht.
„Aha.”
„Du bist natürlich eingeladen.” Der künftige Bräutigam betrachtete angelegentlich seine manikürten Finger.
Klaus vermochte der Aussage nicht zu entnehmen, ob er auch willkommen war. Also wartete er erst einmal ab, bis das Schweigen drückend wurde.
„Du sagst nichts?” Endlich blickte Kersting senior auf und seinem Sohn in die Augen.
„Herzlichen Glückwunsch.” So spöttisch hatte es nicht klingen sollen. Damit lieferte er dem anderen Munition.
„Das hört sich an, als wärest du nicht einverstanden mit meinem Vorhaben. Ich werde auf deine Meinung jedoch keinerlei Rücksicht nehmen. Hannah ist eine wunderbare Frau.”
Gleichgültig, ob das stimmte, hätte Klaus es vorgezogen, früher informiert zu werden. Er fühlte sich hintergangen, um etwas betrogen, was er nicht zu beschreiben vermochte. Weshalb waren sie beide nicht fähig, wie vernünftige Menschen miteinander umzugehen?
Nach ein paar belanglosen Worten war er wieder gefahren, sehr zum Leidwesen von Käthe, die noch einmal versucht hatte, ihn zum gemeinsamen Abendessen zu überreden.
Er und sein Vater hatten sich so sehr auseinander gelebt, dass es ihm eigentlich egal sein sollte, wenn die Distanz sich permanent vergrößerte. Klaus ärgerte sich, dass er die Gleichgültigkeit, die sein Verstand ihm eingab, nicht zu empfinden vermochte.
Anschließend war er ins Büro zurückgekehrt, ohne sich
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