Renner & Kersting 01 - Mordsliebe
mehr reden.” Einerseits war Helga erfreut, denn das bedeutete, dass er tatsächlich nur ihretwegen hier war, andererseits lechzte sie aber auch nach Informationen. Nun, alles der Reihe nach. Vorerst wollte sie sich auf das ausgezeichnete Essen konzentrieren.
Während sie ihn sinnend anschaute und Überlegungen über den weiteren Verlauf des Abends anstellte, ging ihr auf, wie sehr er an der Stadt hing, in die sie sich noch immer nicht richtig eingelebt hatte. Mit bissigen Seitenhieben auf die Verwaltung plauderte er über die sich hinziehende Sanierung des Bahnhofsvorplatzes und die neue Volme-Galerie, die für Eleganz und Atmosphäre sorgen sollte. Es war offensichtlich, dass ihm das Leben hier gefiel. Damit hatte sie ihn, den Anknüpfungspunkt.
„Haben Sie gelesen, dass im Stadtrat darüber debattiert wird, die Sträucher im Park zu roden? Gibt es keine Büsche mehr, hinter denen der Mörder sich verstecken kann, gibt es auch keine Morde mehr, so einfach ist das – nach Ansicht unserer Stadtväter.”
Kersting grinste, verkniff sich aber jeglichen Kommentar.
„Die Grünen sind natürlich dagegen, ob aus ökologischen oder pragmatischen Gründen, ist ja egal. Eine Entscheidung wird es sowieso erst im nächsten Jahr geben – falls überhaupt. Ob der Mörder sich den Tatort vorher angesehen hat? Was meinen Sie? Falls ja, würde das doch bedeuten, dass er die Tat genau geplant hat.”
„Sie können es wohl nicht lassen?” Nachsichtig schüttelte er den Kopf. „Also gut, reden wir über den Fall. Was wollen Sie wirklich wissen?”
„Ob Sie bereits einen konkreten Verdacht haben, natürlich.”
„Es gibt viele Verdächtige, aber bei keinem reichen die Indizien für eine Verhaftung aus.” Er zögerte, fuhr dann aber doch fort: „Anfänglich hielten wir es für möglich, dass Sandra unbeabsichtigt Zeugin einer Straftat wurde. Aber jetzt, nachdem Benjamin auf die gleiche Weise ermordet wurde und Sie sagen, dass die Kinder sich nicht kannten, können wir diese Theorie abhaken.”
„Nein, noch nicht.” Helga erschrak, als sie die Folgen ihrer Aussage erfasste. „Die beiden kannten sich. Rein zufällig erfuhr ich, dass sie ab und zu gemeinsam Frau Große geholfen haben.” Sie berichtete, was sie von Ali gehört hatte, ohne jedoch deren Namen zu nennen.
„Wir werden der Sache nachgehen”, sagte er und machte Anstalten, das Thema zu wechseln, was Helga ganz und gar nicht passte. Sie insistierte: „Das kann doch nicht Ihre einzige Spur gewesen sein! Es muss doch mehr geben!”
„Sie sind eine Nervensäge.” Er hielt inne und dachte offensichtlich nach. Helga befürchtete schon, ihn verärgert zu haben. Doch nach einer längeren Pause begann er zu sprechen: „Nun gut, ich werde Ihnen jetzt etwas erzählen, was wir bisher noch nicht veröffentlicht haben.” Für einen Augenblick wurde sein schmales, ausdrucksvolles Gesicht kalt. Instinktiv erkannte sie seine Härte, wusste, dass er nicht aufgeben würde, bis dieser Fall gelöst war.
„Da es in den nächsten Tagen sowieso in der Zeitung stehen wird, kann ich es Ihnen auch heute schon sagen. Benjamin lag ausgestreckt auf dem Rücken und mit auf der Brust gekreuzten Händen. Bei Sandra war es ähnlich, nur dass sie tiefer ins Gebüsch gezerrt worden war. Beider Kleidung war kein bisschen verrutscht oder gar zerrissen. Was würden Sie daraus schließen?”
Helga benötigte nur einen Moment, um zu verstehen. „Das kann doch nur ein psychisch Kranker sein, der zwei Kinder tötet und sie dann hinlegt wie aufgebahrt.” Und damit, sinnierte sie, würden sämtliche logisch erklärbare Motive, die vielleicht Linners Freund oder Fränzkes Zukünftiger hätten, hinfällig, und sie konnten wieder von vorn beginnen.
„Richtig, oder es ist ein besonders kaltblütiger Mörder, der uns genau das glauben machen will. Es gibt so verdammt viele Möglichkeiten. Vielleicht existiert ein ›vernünftiges‹ Motiv nur für einen Mord, und der andere dient der Verschleierung. Wir dürfen keinen Aspekt vernachlässigen. Aber sollte der Täter tatsächlich geistig nicht normal sein, müssen wir die Ursache der Störung herausbekommen, um ihn zu finden.”
„Meine Güte, jetzt erkenne ich erst Ihre Schwierigkeiten.”
Die Situation war für ihn noch weit schlimmer, als sie zunächst gedacht hatte. Die Beamten brauchten die Hilfe eines Psychologen, der ein Täterprofil erstellte. Und das bedeutete, dass Kersting seine bitteren Gefühle dieser Berufsgruppe gegenüber
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