Renner & Kersting 01 - Mordsliebe
hatte im letzten Jahr. Da der Beruf ihn erfüllte und es stets viel zu tun gab, hatte er es nicht bemerkt, doch die wenigen Stunden in Helgas Gesellschaft hatten ihm deutlich gezeigt, wie viel schöner das Leben sein konnte. Immer wieder kehrten seine Gedanken zu der Lehrerin zurück, die so viele unterschiedliche Personen in sich vereinte. Sie war aufregend und gleichzeitig beruhigend, sodass er sich in ihrer Gegenwart geborgen fühlte. Unsicherheit und Selbstbewusstsein schienen ständig zu wechseln. Während sie sich in der Schule wie die typische Lehrerin verhielt, kühl und überlegen, wirkte sie im Restaurant zeitweise eifrig wie ein Kind, das einem Erwachsenen helfen möchte, und in ihrer Wohnung strahlte sie Wärme und Fröhlichkeit aus. Er hatte sich in dem kunterbunten Sammelsurium von exotischen Souvenirs sofort wohl gefühlt. Der chinesische Lampion über dem Küchentisch hatte ihn derart amüsiert, dass sie dort sitzen geblieben waren. An der Wand über der Spüle tummelten sich indische Göttergestalten neben altägyptischen, auf der Fensterbank reihten sich seladonfarbene Blumentöpfe aus Korea aneinander, und die Teeschalen stammten von Handwerkern auf Ceylon. Sie vereinte eine Menge Widersprüche in sich. Einerseits reiste sie gern allein in der Welt herum, wobei sie mögliche Gefahren bewusst in Kauf nahm, andererseits brauchte sie die Sicherheit des regelmäßigen Gehalts. Er verstand nicht, wie man Risikobereitschaft und das Bedürfnis nach Sicherheit so miteinander verbinden konnte. Sie war nicht eigentlich schön, aber attraktiv und besaß eine faszinierende Ausstrahlung. Am Abend hatten sie viel geredet und gelacht. Inzwischen konnten sie sogar gemeinsam schweigen, ohne dass die Stille peinlich wurde. Plötzlich hatte er gemerkt, dass er es nicht gewohnt war, eine Frau zum Freund zu haben. Es war ein wunderschöner Abend gewesen, und er wünschte sich unendlich viele dieser Art. Doch dann hatte er Angst bekommen etwas zu zerstören, was erst aufgebaut werden sollte.
„Was hast du gesagt?”
Masowski grinste ihn niederträchtig an: „Du träumst wohl immer noch von deiner Lehrerin?”
„Erstens ist sie nicht meine Lehrerin, zweitens träume ich nicht. Erzähl mir lieber, ob sich gestern noch etwas ergeben hat.” Nachdem er den Abend so angenehm verbracht hatte, litt er nun unter leichten Gewissensbissen.
„Kollege Wiegand hat mit viel Glück einen aussagewilligen Skin aufgetrieben. Einer der Glatzen hat ihm wohl die Freundin ausgespannt, und jetzt ist der Kerl so sauer, dass er alles erzählt. Es war tatsächlich Atze, der den Penner erschlagen hat. Sie haben ihn gestern Abend noch festgenommen und verhört.”
„Und?”
„Dummerweise leugnet der Kerl ganz entschieden, die beiden Kinder überhaupt gesehen zu haben. Es gibt keinen einzigen Beweis, dass die Taten zusammenhängen.”
„Wenn er einen guten Anwalt hat, kommt er vielleicht mit Totschlag davon.” Kersting zuckte die Schultern. „Immer noch besser als wegen Kindermord verurteilt zu werden. Wie hieß eigentlich das Opfer?”
„Paul, glaube ich, Paul Paukens. Ein blöder Name. Wieso fragst du?”
„Nur so. Gibt es sonst noch was?”
„Hmm, unser Psychoklempner hat eine vorläufige Analyse erstellt. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter geistig verwirrt ist, ist ziemlich hoch. Wir sollten endlich unsere Suche nach Motiven und Gemeinsamkeiten aufgeben und uns auf Personen mit Dachschaden konzentrieren.”
„Gut gesagt, aber die uns bekannten sitzen entweder in der Psychiatrie oder wurden bereits vernommen. Fehlanzeige! Wir suchen jemand, der bisher nicht aufgefallen ist, der nach außen hin ein normales Leben führt und irgendwie mit Kindern zu tun hat oder hatte. Das trifft auf die Hälfte der Bevölkerung zu. Konnte der Psychologe nicht mehr sagen? Er muss doch inzwischen ein Profil fertig haben, oder?”
„Lies den Bericht, und du weißt wenig mehr als vorher. Dass Trennungserfahrungen, physische Gewalt und Missbrauch in der frühen Kindheit einen gestörten Bezug zur Wirklichkeit verursachen können, ist allgemein bekannt. Von Interesse sind lediglich folgende Tatsachen: Der Täter ist wahrscheinlich zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig Jahre alt, lebt allein und ist nicht ungebildet. Außerdem können wir sexuellen Missbrauch in seiner Kindheit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen.”
„Was war es dann? Mit dem bisschen können wir nichts anfangen.”
„Einen Tipp habe
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