Renner & Kersting 02 - Mordswut
Aber daran war nur dieser Mann Schuld.«
Ungläubig starrte Helga die beiden an. Hatte sie richtig gehört?
„Wer einen Geschiedenen heiratet, bricht die Ehe. Was unsere Tochter vorhatte, war nicht nur unmoralisch, es verstieß gegen seine Gebote, war Sünde. Kein Wunder, dass die Strafe so schnell erfolgte. Gott lässt sich nicht spotten.«
„Aber, die beiden liebten sich«, konnte Helga nur stottern angesichts dieser Ungeheuerlichkeit.
„Oh nein, sie haben vielleicht geglaubt, sich zu lieben, aber zur wahren Liebe gehört auch Liebe zu Gott und der Respekt vor seiner Ordnung. Das hat Andrea vergessen. Dabei habe ich mein Bestes getan, sie richtig zu erziehen. Wie oft habe ich ihr gesagt, dass sie falsch handelt. Ich bin nicht Schuld an dem Unheil, ich nicht.« Die Serviette landete auf dem Teller, der vehement beiseite geschoben wurde.
Helga wusste natürlich von der Existenz religiöser Eiferer, aber auf diese Weise mit ihnen zusammenzustoßen, hätte sie nicht erwartet. Die Kollegin hatte in der Schule weder ihr Elternhaus erwähnt noch über ihren Glauben gesprochen. Warum auch?
„Sie ... Sie meinen doch nicht etwa, der Mord sei eine Strafe Gottes?«
„Selbstverständlich. Warum sonst sollte er so kurz vor der Hochzeit passiert sein?«
Nun ja, darauf wusste die Lehrerin auch keine Antwort, noch nicht, aber sie war fest entschlossen, sie zu finden. Helga gehörte nicht zu den regelmäßigen Kirchgängern, hielt sich aber für eine religiöse Person, die Gott durchaus auch einen Eingriff in das irdische Leben zutraute – aber ganz sicher nicht, weil eines seiner Kinder einen geschiedenen Mann heiraten wollte. Mühsam riss sie sich zusammen. Sie tat weder sich noch Andrea einen Gefallen, wenn sie mit deren Eltern eine Diskussion über Glaubensfragen begann.
„Wenn Sie dessen so sicher sind und Ihre Tochter für schlecht halten, warum sind Sie dann noch hier?«
Erstaunt, wie man nur eine solche Frage stellen konnte, schaute Herr Michalsen sie an. „Weil es unsere Pflicht ist, uns um das Kind zu kümmern. Wir sind schließlich die Eltern. Was dachten Sie denn?«
Im Vergleich zu seiner hageren Frau sah er gut aus und wirkte auch sympathischer. Er besaß ein eher rundes Gesicht mit kräftigem Kinn, und die vielen kleinen Fältchen an den Augen konnten vom Lächeln herrühren. Aber nur vielleicht, dachte Helga, möglicherweise waren sie auch durch das Blinzeln entstanden, wenn er mit zusammengekniffenen Augen in der Bibel las.
„Glauben Sie, dass Ihre Tochter ihren Verlobten erstochen hat?«
„Andrea wurde nach strengen Grundsätzen erzogen!«
„Dann muss ein anderer der Täter sein, nicht wahr? Hat Andrea mal von jemandem gesprochen, der ihr unsympathisch war? Jemand, der mit Doktor Kowenius zu tun hatte und ihn nicht mochte?«
„Dieser Mann wurde in unseren Gesprächen nicht erwähnt. Andrea wusste ganz genau, wie sehr sie uns verletzte mit ihrem Verhalten«, gab die alte Frau grimmig zurück.
„Hm!« Herr Michalsen brummte, seine langen Finger trommelten kaum hörbare Rhythmen auf das Tischtuch. „Sie fragten nach jemand, der Andrea unsympathisch war. Aber ich weiß nicht, wie der zu ... zu dem Mann stand.« Offensichtlich bereitete es beiden Mühe, den Namen des Verlobten ihrer Tochter auszusprechen.
„Wen meinen Sie?«
„Ich glaube, das sollte ich besser nicht sagen. Ich will niemand verdächtigen.«
„Hören Sie«, allmählich verlor Helga die Geduld. „Ist Ihnen nicht klar, dass Andrea wegen Mordes verurteilt wird, wenn wir keinen anderen Verdächtigen finden? Haben Sie überhaupt schon einen Anwalt eingeschaltet?«
„Den brauchen wir nicht! Unsere Tochter ist in der Hand des Herrn. Er wird entscheiden. Ihr wird nichts geschehen, was sie nicht verdient«, gab Frau Michalsen zurück.
Trotz guten Willens konnte Helga ein Stöhnen nicht unterdrücken angesichts dieser unglaublichen Naivität, oder war es Bigotterie? Ob Andrea sich davon hatte lösen können? In der Schule machte sie stets einen vernünftigen Eindruck.
„Also, wer war dieser unsympathische Mensch?« Sie wandte sich direkt an den alten Mann. Er schien etwas zugänglicher und musste begreifen, dass es um die Zukunft seiner Tochter ging. Andrea besaß eine gute Menschenkenntnis. Über ihre spitzen Kommentare Eltern und Schüler betreffend, hatten sie oft im Lehrerzimmer gelacht. Wenn sie jemanden unsympathisch fand, hatte das einen guten Grund.
„Der ... Sie werden nicht darüber reden?« Er wand sich wie der
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