Renner & Kersting 02 - Mordswut
Wurm am Haken. Helga schüttelte den Kopf. Sie dachte gar nicht daran, etwas zu versprechen. „Also, sie meinte den Mann von der Better. Nicht den geschiedenen, den jetzigen. Andrea hat mal gesagt, der sei hinterm Geld her wie der Teufel hinter der Seele, und Frauen ... nun, das möchte ich lieber nicht wiederholen.«
„Gut, da haben wir doch schon mal einen Ansatz. Wie steht es nun mit einem Anwalt für Ihre Tochter? Sie sollten sich wirklich darum kümmern.«
„Nein! Was immer auch Andrea getan hat, es ist Sache des Herrn, darüber zu entscheiden. Wir dürfen uns da nicht einmischen. So ist es doch, nicht wahr?« Frau Michalsen tastete nach der Hand ihres Mannes, die dieser ergriff und fest drückte. Hand in Hand saßen die beiden Alten da, schenkten sich gegenseitig Kraft und vertrauten auf Gott. Ein rührendes Bild – aber irgendwie genauso falsch wie das Bild von Andrea, der Mörderin. Helga konnte und wollte es nicht länger mit ansehen.
„Haben Sie einen Schlüssel zu Andreas Wohnung? Ich habe ihre Klasse übernommen und brauche dringend ein paar Unterlagen.«
„Ja, ja natürlich. Fahren Sie da jetzt hin? Und müssen wir mitkommen?«
„Sie müssen nicht, wenn Sie nicht möchten.« Helga ging viel lieber allein in die Wohnung, aber natürlich konnte sie die Eltern nicht ausschließen. Doch, wenn die freiwillig hier bleiben wollten ...
„Wir wollen ins Krankenhaus. Vielleicht geht es ihr heute besser.«
Hoffentlich, dachte die Lehrerin bekümmert. Nachdem sie die Eltern kennen gelernt hatte, war sie gar nicht so sicher, dass deren Besuch Andrea helfen würde. Frau Michalsen kramte in ihrer Tasche nach dem Schlüssel. Helga versprach, ihn sofort nach ihrem Besuch zurück zu bringen und an der Rezeption zu hinterlegen, falls die Michalsens noch unterwegs sein sollten.
Gierig sog sie die frische Luft in ihre Lungen, als sie das Hotel verließ und die paar Schritte zum Parkplatz ging. Sie hatte das Gefühl einer dunklen Enge entronnen zu sein.
21
Andreas Wohnung war klein. Man erkannte auf den ersten Blick, dass die Bewohnerin sich hier nicht oft aufhielt. Obwohl unaufgeräumt, wirkte die Einrichtung unpersönlich. Das Wohnzimmer bestand hauptsächlich aus Bücherregalen, einem Schreibtisch am Fenster und einem winzigen Couchtisch mit zwei Sesseln und einem Hocker drum herum. Helga kamen die Tränen, als sie ins Schlafzimmer schaute und das weiße Brautkleid am Schrank hängen sah. Dann warf sie einen Blick in die Küche, die so klein war, dass eine Person sie gut ausfüllte. Auf der Anrichte lagen Unmengen an Chips, Salzstangen und Erdnüssen. Alles für den Polterabend. Zuerst widmete Helga sich dem Schreibtisch. Dass sie das Klassenbuch brauchte, war nicht nur eine Ausrede gewesen. Ohne die Namen und Telefonnummern der Kinder konnte sie die Klasse nicht führen. Außerdem musste sie wissen, was die Kollegin zuletzt in Deutsch und Sachunterricht durchgenommen hatte. In der obersten Schublade lagen eine Menge Bilder von Josef und Andrea. Zusammen lachten sie fröhlich in die Kamera. Im Hintergrund leuchtete das Meer strahlend blau mit einigen weißen Schaumkämmen. Sicher waren die Bilder in der Türkei entstanden, wo die beiden ihren ersten gemeinsamen Urlaub verbracht hatten. Helga fand auch Fotos einer jungen Frau, vermutlich Josefs Schwester. Dann wäre die Kleine deren Tochter. Irgendwann hatte Andrea mal erwähnt, dass sie auch Tante würde. Auf mehreren Bildern sah sie Mutter und Tochter gemeinsam mit einem ausgesprochen männlich aussehenden Individuum. Von diesen steckte sie eines ein. Falls das der unsympathische Schwager in spe sein sollte, wollte sie Näheres über ihn in Erfahrung bringen. Ein bisschen unwohl fühlte Helga sich schon, als sie weiter suchte. So in fremden Sachen herumzuwühlen entsprach ganz und gar nicht ihrer Art. Aber sie tat es schließlich für einen guten Zweck, wie sie sich immer wieder sagte.
Außer einem Wust von Kopiervorlagen für Mathematik, Sprache und Sachunterricht, verschiedenen Schulbüchern sowie Bastelmaterialien fand sie nichts. Flüchtig schaute sie über die Bücher. Hauptsächlich Liebesromane. Andrea schien romantisch veranlagt zu sein. Hinter einer Schranktür sah Helga Bibel, Gesangbuch und Heftchen einer christlichen Gruppierung neben Gläsern und Geschirr, hinter einer anderen lag der private Papierkram. Rechnungen, alte Briefe, Kontoauszüge. Eine unbestimmte Scheu hielt sie davon ab, sich das alles genauer anzusehen. Trotzdem, wenn
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