Renner & Kersting 02 - Mordswut
klopfte bis zum Hals, und in der Magengegend breitete sich ein unangenehmes Gefühl aus. Sie spürte Panik, als sie an den Rückweg dachte. Wenn jetzt die Hintertür des Hauses, durch das sie in den Hof gelangt waren, verschlossen war?
„Dann müssen wir bis morgen früh hier bleiben.« Ali kicherte hysterisch. Nach einem letzten, überflüssigen Blick, es waren eh nur noch Konturen zu erkennen, verließen sie die Praxis. Die Tür blieb offen. „Sollen sie sich am Montag die Köpfe zerbrechen, wer dafür verantwortlich ist. Es wurde nichts geklaut«, meinte Ali und tastete sich die Treppe hinunter bis zur Haustür. Von innen ließ sie sich öffnen. Beide huschten hinaus und sanken mit zitternden Knien in die Polster von Helgas Auto.
„Mann o Mann«, stöhnte Ali. „Fahr heim, und dann brauche ich einen Schnaps. Mir ist ganz und gar nicht gut.«
Helga quittierte das Geständnis mit einem Geräusch, das irgendwo zwischen Stöhnen und Kichern anzusiedeln war.
Sie fuhr viel zu schnell durch die engen Gassen und atmete erst auf, als sie vor ihrem Haus einen Parkplatz gefunden hatte.
Schweigend stiegen sie die Treppen empor, schweigend holte Helga Gläser und Kirsch aus dem Schrank. Das erste Glas stürzten beide kommentarlos hinunter. Beim zweiten rief Ali: „Auf uns! Wir werden immer besser. Falls du mal die Nase voll haben solltest von deinem Job, werden wir eine Detektivagentur eröffnen.« Sie ließ sich auf das Sofa fallen, das ausnahmsweise einmal frei von Heften, Illustrierten und Büchern war und streckte die Arme aus. Helga schenkte die Gläser noch einmal voll und setzte sich dann Ali gegenüber. Flüchtig streifte sie die Frage, was Klaus zu ihrem Abenteuer sagen würde. Doch diesen Gedanken schob sie ganz schnell in den Hintergrund. Sie hatte das Gefühl, ein gutes Stück vorangekommen zu sein. Und dieses Erfolgserlebnis wollte sie bis zum letzten auskosten.
„Willst du die beiden Frauen anrufen oder soll ich?«, fragte Ali.
„Ruf du sie an, aber sag mir Bescheid, wenn du weißt, wer von den beiden sauer auf Kowenius war. Ich möchte gern wissen, ob es sich um eine Mutter unserer Schule handelt. Falls ja, finde ich leichter einen Grund, mit ihr ins Gespräch zu kommen. – Zeig mal den Brief, den du kopiert hast!«
Beide beugten sich über das Schreiben. „Die Hellwitz will sich Narben an den Händen wegmachen lassen. Meine Güte, ist das teuer! Verdient die denn so viel?«
„Hm, vielleicht hat sie jahrelang darauf hingespart.«
„Die Frage ist doch, warum liegt das in der Praxis rum?«
„Vielleicht will sie einen der Ärzte um Rat fragen«, vermutete Helga.
„Vielleicht. Aber würdest du das nicht vorher tun? Ich meine, bevor du dir so einen Kostenvoranschlag machen lässt? Da ist doch die eigentliche Entscheidung längst gefallen, oder? Aber vielleicht will sie auch bloß fragen, ob der Preis gerechtfertigt ist.«
„Oder sie will Sonderurlaub. Möglichkeiten gibt es genug. Einer von uns sollte versuchen, mit der Frau zu reden und sie unauffällig aushorchen. Laut Bergedorf war sie in Kowenius verliebt. Je nachdem wie der sie hat abblitzen lassen, hat sie ein Motiv.«
„Hm, dich kennt sie inzwischen als Patientin. Wenn du dich auch noch als Bekannte von der Michalsen vorstellst, kannst du sie leicht in ein Gespräch verwickeln. Aber sei vorsichtig, wenn du dein Verhältnis zu Andrea beschreibst. Ich finde, du solltest dir eine hübsche Geschichte ausdenken, wie die dir mal den Freund ausgespannt hat oder etwas in der Art.«
„Ist doch klar! Also gut, ich werde versuchen, sie morgen rechtzeitig abzupassen.«
Nachdem Ali gegangen war, bedrückte Helga die Einsamkeit. Ein Gefühl, das sie nicht mehr gespürt hatte, seit sie Klaus kannte. Sie überlegte. Für den Unterricht war alles vorbereitet. Sie konnte sich ein Buch nehmen, einen Krimi, der so alt war, dass sie den Schluss längst vergessen hatte. Aber heute war ihr nicht nach Krimi. Also kochte sie erst einmal Tee. Allein die Zubereitung war schon ein Ritual, das die Nerven beruhigte. Während die Blätter zogen, nahm sie sich das Telefonbuch und suchte nach Heinz Sauermann. Nicht zu finden. Eine Geheimnummer besagte noch gar nichts. Wenn sie mehr über ihn erfahren wollte, musste sie ihn beobachten. Heute Abend noch? Eigentlich hatte sie keine Lust, wieder ins Auto zu steigen. Außerdem sollte sie endlich den Tee abgießen. Doch obwohl er volle sechs Minuten gezogen hatte, beruhigte er nicht. Sie trank eine Tasse nach der
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