Renner & Kersting 02 - Mordswut
winkte großzügig ab. „Kann ich nicht dazustoßen, wenn ihr beim Kaffee sitzt? Zu zweit könnten wir sie viel besser aushorchen.«
„Nein, lieber nicht. Ich kann mich als Kollegin von Andrea vorstellen, je nach Reaktion als Freundin oder Feindin. Wenn du auftauchst, könnte das ihrer Erzählfreudigkeit, sofern sie denn redet, Abbruch tun.«
„Hm, klingt vernünftig«, gab Ali bedauernd zu. „Also fahr zur Praxis. Ich werde mit dir auf die Hellwitz warten und verschwinden, sobald sie auftaucht.«
Gesagt, getan. Helga fand erst ziemlich weit weg von der Praxis einen Parkplatz. „Kein Problem«, meinte Ali. „Wenn sie sich ins Auto setzen sollte, beobachtest du sie weiter und ich hole deinen Wagen.« Aber wie sollte Helga sie dann zufällig treffen und ansprechen, vor allem wenn sie gleich nach Hause fuhr. Und die Hellwitz wirkte nicht so, als würde sie abends gern noch in ein Café gehen. Folglich musste Helga sie aufhalten, bevor sie ins Auto stieg, und ihre Neugier wecken, damit sie zu einem Treffen bereit war. Ein schwieriges Unterfangen, insbesondere wenn die Frau ein reines Gewissen besaß. Dann gab es keinen Grund, mit einer Fremden über den Chef zu reden. Falls sie allerdings etwas zu verbergen hatte, ja, dann konnte die Neugier siegen und sie sich mit Helga treffen wollen. Langsam schlenderte diese den Gehsteig auf und ab. So langsam gewöhnte sie sich ans Beschatten. Befriedigt stellte sie fest, dass sie kaum noch nervös war. Ali stand wartend in der Nähe, schaute ab und zu demonstrativ auf ihre Uhr und ging ein paar Schritte.
Kurz vor sechs tauchten erst die Finkamp und die andere auf, zehn Minuten später die Hellwitz. Da sie keinen Schlüssel in der Hand hielt, hoffte Helga, dass sie zu Fuß weitergehen würde, was sie auch tat. Gut. Helga bog ab, um in die Parallelstraße zu gelangen, lief so schnell sie konnte bis zur nächsten Querstraße, um dann der Hellwitz entgegen zu gehen. Das Manöver gelang, doch Helga geriet ziemlich außer Atem. In einem Hauseingang blieb sie stehen, um sich erst einmal wieder zu beruhigen. Da kam sie. Helga wartete noch einen Moment, um dann mit dem Objekt ihrer Neugier zusammen zu stoßen.
„Entschuldigung! Ich habe nicht aufgepasst. Tut mir Leid, Sie so umgerannt zu haben. – Heh, ich kenne Sie doch, sind Sie nicht die Arzthelferin von Doktor Kowenius? Klar, ich habe Sie doch neulich in der Praxis gesehen. Gehen Sie auch Richtung Stadt? Wenn Sie nichts dagegen haben, begleite ich Sie. Das ist doch netter, als wenn wir hintereinander herlaufen, nicht wahr?« Helga staunte nur noch über sich selbst. Solch einen Redeschwall ließ sie höchstens mal bei ihren Schülern los, wenn sie schimpfen musste. Aber in diesem Moment sprudelten die Worte nur so über ihre Lippen. Die Hellwitz bekam gar keine Gelegenheit, abzulehnen. Da sprach Helga auch schon weiter. „Es tut mir so Leid, was da mit Ihrem Chef passiert ist. Wissen Sie, ich kenne die Michalsen recht gut. In der Zeitung stand heute, dass sie es getan hat. Eigentlich kaum zu glauben. Sie machte immer einen so netten Eindruck.«
„Die Polizei wird das schon richtig ermittelt haben«, sagte die Hellwitz äußerst abweisend. Sie ging schneller, als wollte sie Helga loswerden. Die ließ sich nicht abhängen. Sie musste Andrea helfen, um jeden Preis. Sie versuchte, in die Haut ihrer redseligen Mütter zu schlüpfen, die glaubten, der Elternsprechtag sei eigens nur für sie da. Mit dem Gehabe dieser Frauen im Kopf, sowie dem Bild Alis, wie sie auf die Panowitsch einredete, fiel es ihr nicht schwer, am Ball zu bleiben.
„Ja sehen Sie, Frau ... äh Hellwitz, richtig? Also Frau Hellwitz, das ist so, ich habe einiges von der Polizeiarbeit mitbekommen, aus erster Hand sozusagen, und daher weiß ich, dass die, wenn sie erst einen Verdächtigen haben gar nicht mehr weitersuchen. Und da ich die Michalsen kenne, würd mich deren Motiv interessieren. Was meinen Sie? Hat sie es getan? Oder gibt es noch andere, die sauer auf den Doktor waren?«
Die Hellwitz schniefte empört und versuchte, noch schneller zu gehen, was kaum möglich war.
„Ich meine, Ärzte sind auch nur Menschen, und Menschen machen nun mal Fehler. Womöglich gab es da unzufriedene Patienten. Eine Fehldiagnose ist schnell gestellt.«
„Wir sind doch nicht in einer Seifenoper. Was denken Sie eigentlich von dem Herrn Doktor? Das war ein absolut integerer Mann. Der hat nichts falsch gemacht. Und jetzt lassen Sie mich gefälligst in Ruhe.«
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