Renner & Kersting 02 - Mordswut
zwei Frauen. Sie waren beide nur leicht verletzt, das Ganze ist heute nicht mehr wichtig. Ich sah im Gesicht schlimm aus. Er als angehender Arzt konnte es sich nicht leisten, den Führerschein zu verlieren, also habe ich gesagt, ich wäre gefahren. Bei erster Gelegenheit hat er mir eine Operation bezahlt, so dass ich wenigstens wieder unter Menschen gehen kann ohne mich zu schämen. Ja – und die Stelle habe ich auch bekommen. Nicht geschenkt natürlich. Ich bin gut in meinem Beruf und verdiene mein Gehalt.«
„Ihre Gefühle für ihn sind geblieben?« Das war halb Frage, halb Behauptung.
„Ja, ich glaube schon. Ja. Bei ihm sah es anders aus. Er hat kurz danach geheiratet, die Tochter eines Arztes. Geld zu Geld. Was sollte ich tun?« Sie hob die Schultern.
Der feine Doktor Kowenius, über den jeder nur Gutes zu berichten wusste, nahm allmählich seine wahre Gestalt an, überlegte Helga. „Und jetzt wollten Sie eine weitere Operation?«
„Es gibt neuartige Lasertechniken. Ich bräuchte keine Handschuhe mehr. Ich dachte, das sei er mir schuldig.«
„...wenn er Sie schon nicht heiratet«, murmelte Helga unverständlich, um dann lauter zu fragen: „Hatten Sie an ...«, sie zögerte, mochte das schmutzige Wort ›Erpressung‹ in diesem Zusammenhang nicht erwähnen. „Wollten Sie seine Hilfe erzwingen?«, fragte sie stattdessen.
„Erzwingen? Wie hätte ich das können? Der Unfall ist längst verjährt. Da kräht heute kein Hahn mehr nach. Nein, erzwingen konnte ich gar nichts. Aber ich hatte gedacht, wenn wir ruhig und vernünftig miteinander reden würden ... er besaß genug Geld.«
Das war die Frage. War er der Typ, der mit sich reden ließ? So großartig wie er nach Andreas Aussagen sein sollte, erschien er Helga nicht mehr. Letztendlich war das, was er getan hatte, Unfallflucht. Er hatte seine Beifahrerin die Geschichte ausbaden lassen. Ein mieser Charakterzug, der nicht zu dem feinen Herrn Doktor passte. Könnte diese alte Geschichte heute noch seinem Ruf schaden? So sehr, dass er sich erpressen ließ? Und reichten die verletzten Gefühle der Hellwitz für einen brutalen Mord? Dass sie ihn liebte und seine erneute Heirat mit einer anderen sie zutiefst verletzte, stand für Helga fest. Würde eine Ablehnung der Operation einen Hass entfachen, der sich in zahlreichen Messerstichen entlud? Eher unwahrscheinlich. Aber auch seine Gefühle spielten eine Rolle. Wenn er ihrer überdrüssig geworden war, weil ihr Anblick ihn an seinen Fehler und seine Erpressbarkeit erinnerte und er sie daraufhin zurückgewiesen und beleidigt hatte, dann war ihre Liebe vielleicht in tödlichen Hass umgeschlagen. Helga schaute ihr Gegenüber nachdenklich an. Wie eine Mörderin sah sie nicht aus. Aber das tat wohl niemand. Dezent geschminkt, so dass ihre Narbe kaum auffiel, eine Kurzhaarfrisur, die von keinem Billig-Frisör stammte, wirkte sie fast attraktiv. Nicht schön, aber beeindruckend. Helga fragte sich, wie viele Erlebnisse mit Männern diese Frau wohl gehabt hatte. Oder hatte sie ihr ganzes bisheriges Leben auf den einen gewartet, der nichts von ihr wissen wollte? Die Tatwaffe deutete auf Leidenschaft. War diese Frau fähig, leidenschaftlich zu hassen? Nach ihrer anfänglichen Überraschung hatte sie sich wieder gefangen und saß Helga jetzt ruhig und beherrscht gegenüber. Helgas Menschenkenntnis, auf die sie sich so viel eingebildet hatte, war seit dem Frühling letzten Jahres verschwunden. Nie wieder würde sie jemanden als möglichen Täter oder Täterin ausschließen. In der richtigen Verfassung, gepeinigt oder gereizt bis aufs Blut konnte jeder zum Täter werden. Und der Mord an Kowenius war nicht geplant, der war plötzlich, aus einem Instinkt heraus, geschehen. Ausschließen würde sie die Hellwitz ganz sicher nicht.
„Was sagte er zu Ihrer Bitte?«
„Nichts«, erwiderte sie lakonisch. „Er war schon tot als ich eintraf. Das sagte ich Ihnen bereits und der Polizei auch.«
„Der Polizei haben Sie eine Lüge erzählt.« Bedeutungsschwer hing der Satz zwischen ihnen. Die Hellwitz ließ sich nicht beunruhigen. „Er war tot, und die Michalsen hat neben ihm gesessen.«
„Hm, mochten Sie die Michalsen?«
„Die Frage ist doch wohl nicht ernst gemeint? Nach dem was ich Ihnen gerade erzählt habe. Nein, ich mochte sie nicht. Aber Josef liebte sie. Und nur darauf kam es an.«
Zum ersten Mal hatte sie von ihrem Chef als Josef gesprochen. Ein Zeichen, dass sie auftaute?
„Es machte Ihnen gar nichts
Weitere Kostenlose Bücher