Renner & Kersting 02 - Mordswut
zurück.
„Vielleicht brauchte die Schwester Geld«, sagte Ali leise, als ihre Zigarette brannte und sie einen tiefen Zug genommen hatte.
„Die Anja? Nein, ausgeschlossen. Die mochte ihren Bruder. Aber ihr Freund ... so wie der manchmal mit der Kleinen umspringt, also dem würde ich es zutrauen.«
„Hm, Anja ist jetzt eine reiche Frau. Und wenn er sie heiratet ...?«
„Ja, da könnten Sie Recht haben.« Endlich schien die Pfeife fertig gestopft. Der alte Herr riss ein Streichholz an, hielt es an den Pfeifenkopf und zog. Doch er war nicht zufrieden. Der Tabak wurde fester gedrückt und die Prozedur wiederholt. Dann paffte er genießerisch graubraune Wölkchen in den Raum und schaute hinüber zum Nachbarhaus, mit seinen Gedanken bei den Geschwistern Kowenius.
„Aber er war ja an dem Tag nicht hier. Zumindest steht nichts davon in der Zeitung«, meinte Ali.
„Ach die Reporter, die kriegen auch nicht alles mit. Genauso wenig wie die Polizei. Obwohl der eine, der Kommissar schon mehrmals bei der Anja war.«
Kersting bearbeitete den Fall. Was wollte der so oft bei Anja? Arme Helga. Ob sie davon wusste? Das waren die falschen Gedanken am falschen Ort. Zurück zu Anja Better und Freund Sauermann.
„Sie meinen, der war am Mittwoch hier?« Es fiel Ali schwer, ihre Spannung zu unterdrücken.
„Klar, der ist doch jeden Mittag da. Nein, stimmt nicht. Heute habe ich ihn noch nicht gesehen. Aber sonst meistens. Wissen Sie, wenn die Kleine morgens in der Schule ist, da arbeitet die Anja an ihrem Computer, und wenn der Kerl dann kommt, bringt er was vom Imbiss mit. Ist doch nicht gesund für ein kleines Kind, immer nur Fertiggerichte von der Bude.« Traurig schüttelte der Alte den Kopf.
Als er keine Anstalten machte weiter zu sprechen, fragte Ali direkt: „Haben Sie auch gesehen, wie die Michalsen kam und die Arzthelferin, die Hellwitz?«
„Klar, die waren alle da.«
Folglich hatte der Sauermann ebenso eine Gelegenheit wie Andrea Michalsen und zusätzlich noch ein Motiv. Weshalb hatte die Polizei den Kerl nicht längst unter die Lupe genommen? Oder hatte sie es getan, und Helga hatte nichts davon mitbekommen, weil Kersting sie derzeit nicht besuchte? Himmel, warum mussten zwischenmenschliche Beziehungen einen Fall so komplizieren?
„Und die Polizei? Weiß die das auch? Dass der Freund da war, meine ich?«
„Keine Ahnung. Ich wurde nicht gefragt.«
Nach Helgas Erzählungen zu urteilen, traute sie Kersting schlampige Ermittlungen eigentlich nicht zu. Sie erinnerte sich an den Fall der getöteten Kinder. Bis tief in die Nacht hinein waren er und seine Kollegen jeder Spur nachgegangen, und wenn sie noch so unglaubwürdig schien. Dieses Mal hatte er sich mit dem Offensichtlichen begnügt. Oder ließ er sich von seinen Hormonen leiten? Spielte Anja eine wichtigere Rolle für ihn als Helga? Und wollte er Anja deswegen nicht in Verlegenheit bringen? In ihrer momentanen Stimmung traute sie ihm fast alles Schlechte zu.
Ali beschloss, Nägel mit Köpfen zu machen. „Also«, wiederholte sie deshalb noch einmal deutlich, „zuerst kam Anjas Freund, dann der Herr Doktor, dann die Michalsen und zum Schluss die Hellwitz. Stimmt das so?«
„Hab ich doch gesagt. Das heißt, warten Sie mal. Ich glaub, zuerst kam die Verlobte, dann der Doktor. Oder doch nicht? Ich weiß nicht so genau, ist ja auch egal.«
„Und wissen Sie, wie lang die Zeitabstände ungefähr waren?«
Jetzt wurde ihr Gesprächspartner misstrauisch. „Warum wollen Sie das denn wissen? Was hat das mit Ihren Sicherungssystemen zu tun? Sie sind wohl doch ne Reporterin, was?« Der alte Herr mochte die siebzig überschritten haben und ein wenig leichtgläubig sein, aber ganz so einfach ließ er sich nicht hinters Licht führen.
„Nein!« Ali beschloss, ihm eine leicht frisierte Form der Wahrheit zu sagen und erzählte von ihrem Entschluss, Andrea Michalsen zu helfen. Das fand der Nachbar wiederum ganz großartig, weshalb er sich bemühte, alles Wissenswerte aus seiner Erinnerung loszuwerden. Dazu gehörte auch, dass es Streit gegeben hatte zwischen dem ›Herrn Doktor‹ und dem Sauermann, dass der Sauermann von Anja Geld gefordert hatte und mit Anjas Tochter oft rüde umging. „Das wäre kein Vater für Maylinn, nee, ganz bestimmt nicht«, schüttelte der Alte den Kopf.
Als Ali das Gefühl hatte, nichts mehr aus ihm rausquetschen zu können, beendete sie das Gespräch. Es gab eine Menge, über das sie heute Nachmittag mit Helga würde reden müssen. Es
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