Renner & Kersting 02 - Mordswut
Er fühlte sich genervt von der Frau seines Vaters, die heile Familie spielte.
„Helga, wie schön, dass du da bist.«
Galt die Freude tatsächlich ihr oder doch eher dem Abschied der Stiefmutter? Die verzog sich nach einem kurzen Gruß sehr rasch und, wie Helga zu erkennen glaubte, mit Erleichterung.
„Wie geht es dir?«
„Abgesehen von den Kopfschmerzen gut.«
Sie setzte sich auf den noch warmen Stuhl und war plötzlich verlegen. Wäre sie zwanzig Jahre jünger, würde sie nach Anja gefragt haben, aber sie hatte gelernt, dass nicht alles besprochen werden musste. Manchmal war es besser, den Mantel des Schweigens über unangenehme Erfahrungen zu decken. Sie empfand plötzlich Angst, etwas zu zerstören, das so lange so gut funktioniert hatte. Ein Arzt schaute herein und nickte befriedigt. „Der Patient darf sich nicht anstrengen, am besten gar nichts sagen. Er braucht unbedingt Ruhe.« Klaus lächelte. Helga lächelte zurück und saß im Übrigen schweigsam an seinem Bett. Wie schnell man einen geliebten Menschen verlieren konnte, hatte ihr der Unfall gezeigt. Auch wenn sie sich vorher schon ein wenig mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte, von Klaus getrennt zu werden, so musste sie nun erkennen, wie sehr sie trotz allem an ihm hing. Freiwillig würde sie ihn nicht aufgeben, aber mit 44 Jahren ein erstes Kind? Dieser Gedanke gefiel ihr ebenso wenig. Es wäre unfair dem Kind gegenüber, und eigentlich sollte sie in ihrem Berufsleben gelernt haben, dass kein Mann auf Dauer mit einem Kind zu halten ist. Das mochte kurzfristig funktionieren, aber niemals lange. Wie leichtsinnig war sie früher mit der Behauptung umgegangen: „Das ist kein Mann wert!« Aber im konkreten Fall, wenn man selbst betroffen ist, sehen die guten Vorsätze plötzlich anders aus.
„Woran denkst du?«, fragte er leise. „Du schaust so böse drein.«
„Ich denke über uns nach. Wie es weitergehen soll.«
„Ich verstehe. Wir müssen miteinander reden – aber später.« Irgendwann, nahm Klaus sich vor, würde er Helga von Anja erzählen. Er verdankte ihr Gewissheit und dass er in seiner Beziehung zu Helga einen großen Schritt vorangekommen war. Diese verabschiedete sich bald wieder. Ihr lag der Bericht für das Schulamt schwer im Magen. Was sollte sie schreiben, außer dass sie mit Niklas und seiner Mutter geredet hatte? Und dass Reden nichts nutzte, wusste sie aus vielfältiger Erfahrung. Im Schulamt würde das Papier, falls überhaupt gelesen, abgeheftet werden oder im Papierkorb landen. Wozu also die Mühe? Es war einfach ungerecht, dass ihr so etwas aufgehalst wurde.
Wieder daheim, kochte sie Tee, nahm Stövchen und Sahne mit zum Schreibtisch und schaltete ihren Computer ein. Eigentlich müsste es ein extra Programm für Berichte an unausgefüllte Vorgesetzte geben, dachte sie missmutig. Das war eine Marktlücke, die zu füllen sich lohnen würde.
Während sie minutiös den Inhalt der Gespräche mit Niklas und seiner Mutter beschrieb, wanderten ihre Gedanken immer wieder zu Kerstings Unfall. Masowski hatte keine Einzelheiten genannt, aber so wie er es beschrieb, schien der Autofahrer genau auf Klaus zugerast zu sein. Helga vermochte sich nicht vorzustellen, dass er unachtsam die Straße betreten hatte. Sie hatte ihn noch nie unbesonnen oder impulsiv erlebt. Abgesehen von dem einen Fall mit den toten Kindern, erledigte er seine Arbeit routiniert und mit der nötigen inneren Distanz. Er hatte ihr genug von seiner Arbeitsweise erzählt, so dass sie um sein Leben nur selten gefürchtet hatte. Natürlich wusste sie um die grundsätzliche Gefahr. Aber es hatte nie wirklich lebensbedrohliche Situationen gegeben. Die hätte er ihr nicht verschwiegen. Dessen war sie gewiss. Ein Mordversuch? Masowski schien nicht sicher zu sein. Im vorliegenden Fall gab es niemand, der ein Motiv hätte, Klaus umzubringen. Für die Polizei war der Fall Kowenius abgeschlossen, vermutlich befand sich die Akte längst bei der Staatsanwaltschaft. Dass Andrea noch im Krankenhaus lag und nicht vernehmungsfähig war, hatte in dem Zusammenhang wenig zu besagen. Also, wer sollte so etwas tun? Die Hellwitz besaß kein Motiv, die Better ein Alibi. Sie hatte sich in ihrer Wohnung aufgehalten. In dem Zusammenhang fiel ihr Sauermann ein. Er fuhr einen dunklen BMW und hatte am Sonntag vor Kowenius’ Haus gestanden und gewartet, bis Klaus kam. Wollte er seinen Nebenbuhler sehen? Wenn er glaubte, dass der ihm Anja wegnehmen würde, und wenn er für Anja,
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