Renner & Kersting 03 - Mordsgier
Füller, Hut und Schal, die er vergessen hatte, solche Kleinigkeiten eben. Aber meinen Sie, da hätte mir jemand geholfen, die Sachen zu suchen? Die haben sich nur um sich selbst gekümmert. Nicht mal Zeit, um mit mir zu reden, hatten die.«
Helga kannte die Hektik der Pausen. Dass sie mit der Meeren ein ruhiges Gespräch führen konnte, war eher die Ausnahme. Da mussten Absprachen getroffen und Lehrmittel zusammengetragen werden, Eltern riefen an oder Schüler verlangten nach einem Gespräch. Natürlich war es nicht schön, dass sich niemand um Frau Wohlfang gekümmert hatte, aber verständlich. Genau das versuchte sie jetzt auch zu erklären.
»Sie sind sehr nett und so verständnisvoll. Ganz anders als die anderen Kollegen. Das Alleinsein wird mir schwer fallen, hätten Sie Lust, mich mal zu besuchen?«
Besseres konnte Helga nicht passieren. »Aber gern. Haben Sie denn alles gefunden oder fehlt noch etwas? Dann werde ich mich darum kümmern.« Sie hatte keine Ahnung, ob sie ihr Versprechen würde halten können, aber das war im Moment egal.
»Ich glaube, ich habe alles. Aber sicher bin ich nicht, vor allem, was die Schulsachen betrifft. Falls Ihnen etwas auffallen sollte, das niemandem gehört ...«
»Natürlich«, wiederholte Helga. »Und ich freu mich schon auf den Besuch.«
Jetzt musste sie aber schnellstens in die Klasse, noch mehr Ärger mit Elli und Brigitte durfte sie nun wirklich nicht provozieren. Sie eilte durch den langen Flur und hörte auf der Treppe zum Keller bereits ihren Niklas.
»Was ist denn hier los?«
»Och, wir machen ein Rennen.« Ihre Jacken als eine Art Schlitten benutzend, schoben sie einander mit lautem Gebrüll über den Flur. Brigitte schaute aus ihrer Klasse und wollte gerade ein Donnerwetter loslassen, als sie Helga sah und mit einem Stirnrunzeln ihre Tür wieder schloss. Helga fand, dass sich das Gespräch mit der Wohlfang gelohnt hatte. Sie trieb ihre Horde in die Klasse und ließ sie anschließend malen. Sechs Stunden Unterricht in diesen beengten Verhältnissen erschienen ihr wie Strafe.
16
Es war der nämliche Montagmorgen, als der Mörder sein Frühstück im Bar Celona einnahm, wobei er sich selbst mit einem Cognac auf seinen Erfolg zuprostete. Dann erst griff er zum Brötchen, zerschnitt es langsam und bedächtig in zwei Hälften und bestrich beide mit Marmelade. Er war nun mal ein süßer Junge, in jeder Beziehung. Trotz der unvorhergesehenen Einmischung der Polizei lief alles glatt für ihn. Gut, dass die Zeitungsleute auf Draht waren. So wusste er nun, wer die Bullen auf die Spur gehetzt hatte. Mit so einer Panne konnte nun wirklich niemand rechnen. Wie hätte er ahnen sollen, dass der Kerl eine eifersüchtige Freundin besaß, die gleich die Polizei rebellisch machte. Egal, noch wussten die gar nichts. Suchten in der völlig falschen Richtung. Und wenn es nach ihm ginge, würde es auch dabei bleiben. Vielleicht sollte er den einen oder anderen Köder auslegen. Daniela könnte ihm dabei helfen. Sie war so herrlich naiv. Glaubte einfach alles, was man ihr erzählte. Eigentlich müsste sie ihm dankbar sein, dass er sie von ihrem Ehejoch befreit hatte. Offensichtlich hatte der Kerl sie ausgenutzt und ständig betrogen. Dabei konnte sie, wenn man sie richtig zu nehmen wusste, anschmiegsam sein wie ein Kätzchen und dazu auch noch gehorsam. Ja, das Leben war großartig, wenn man ein bisschen Initiative und die Flexibilität besaß, mögliche Schwierigkeiten rechtzeitig zu beseitigen. Für ein Problem fand er allerdings keine Lösung: Ihm lief die Zeit davon. Dabei gab es noch so viel zu tun. Flüchtig überschlug er, wie lange ihm maximal noch blieb. Er kam auf eine, vielleicht auch zwei Wochen, später würde er in Erklärungsnot geraten. Zu dumm, dass die Sache mit der Pawalek schief gegangen war. Musste diese große Frau auch ausgerechnet im falschen Moment auftauchen! Und dann auch noch so geistesgegenwärtig reagieren! Sie schien eine gute Bekannte zu sein. Gestern war sie schon wieder bei Anna gewesen und hatte damit seine gesamte Planung umgeschmissen. Ob sie etwas ahnte? Eher unwahrscheinlich. Dafür war er zu gut. Er überlegte, ob er noch einen zweiten Cognac bestellen sollte, nahm aber Abstand davon, da er schließlich noch einiges zu tun hatte. Ein weiteres Kännchen Kaffee musste genügen. Während er darauf wartete, fielen ihm bereits diverse Alternativen ein, die er gedanklich durchspielte. Am liebsten hätte er sich selbst auf die Schulter geklopft.
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