gottergeben, fuhr den Kollegen zum Revier zurück und rief Rehbein an. Er erwischte ihn, als er gerade heimkam und übel gelaunt seine Mansardenwohnung am Sachsenhäuser Berg betrat – verärgert über die späte Rückkehr des Taxis. Denn seine Nachforschungen Theresa Schwarz verschoben sich nun um einen Tag, wo es doch um Stunden ging. Er hängte seine Jacke auf, als aus der Seitentasche heraus O du lieber Augustin erklang. Ja, alles ist hin, für heute jedenfalls, ergänzte er und holte das kleine Kästchen hervor.
„Sind Sie zu Hause?“, fragte Raabe.
„Soeben die Tür reingekommen.“
„Sehr gut. Bitte mailen Sie Ihr deutlichstes Foto vom falschen Mensinger schnellstens an
[email protected], Mandel wartet darauf und veranlasst die Fahndung, sobald er das Bild hat.“
„Bin schon am Rechner und fahre ihn hoch. Ist der Kerl getürmt?“
„Ja. Er ist. Und wir müssen ihn kriegen.“
„Hat also Lunte gerochen. Ich frag mich, wie er drauf gekommen ist.“
„Und ich, wer ihn draufgehoben hat.“
„Oder so. Oder man hat eine Wanze in Kokos Büro platziert.
So, das Foto ist eingescannt und jetzt – Moment … ja, es ist unterwegs.“
„Danke!“
„Weiß es Koko schon?“
„Noch nicht. Ich bin auf dem Weg zu ihm und sage es ihm persönlich, will mich ohnehin von ihm verabschieden, er reist ja morgen ab.“
Raabe fuhr durch das offene Tor den Kiesweg hoch und hielt unter der Laterne gegenüber der Haustür. Koko streckte, das Gesicht eingeschäumt, seinen Kopf aus dem Fenster des hell erleuchteten Badezimmers.
„Ich weiß, ihr seid im Stress, ich halte dich nur ganz kurz auf. Der Vogel ist ausgeflogen – die Fahndung läuft!“
„Ausgeflogen? Der falsche Mensinger?!“
Die Tür öffnete sich, Beate winkte ihn herein.
„Was heißt aufhalten. Du bist uns immer willkommen, Horst! Außerdem sind unsere Koffer längst gepackt.“
„Du fliegst mit?“, staunte er.
„Nee, du! Konrad fliegt nach Moskau, ich fahre nach München.“
Koko kam hinzu, den Seifenschaum teilweise weggeschabt, in der rechten Hand den Rasierapparat.
„Wie ist das möglich, woher konnte dieser Mensch in solcher Blitzeseile wissen, dass er aufgeflogen ist?“
„Ich habe den Verdacht, Hübner steckt mit drin. Der ist mir schon lange suspekt und heute auf dem Polizeihof hatte er beobachtet, ganz offensichtlich erregt, wie Rehbein zu mir ins Auto gestiegen ist. Was missfiel ihm daran? Es sollte mich nicht wundern, wenn er ihn zuvor beim Fotografieren gesehen hat.“
„Der kommt unter die Lupe, das veranlasse ich, noch ehe ich abreise. Vielleicht lässt sich da auch ein Hebel ansetzen. Es tut sich endlich einiges auf. Vor Kurzem noch standen wir vor dem absoluten Nichts, jetzt haben wir fünf Baustellen: den Einarmigen, den Krollekopp, die Schwarz, den falschen Mensinger und jetzt eventuell noch Hübner. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn nicht eine davon zum Richtfest führte.“
„Da stimme ich dir zu. Aber mitunter geht es mit ihm zu. Ich überlasse euch jetzt eurem Reisefieber – wir halten einander auf dem Laufenden, okay?“
„Auf jeden Fall – und, Horst, falls du während meiner Abwesenheit Schützenhilfe brauchst, Reinfeld vertritt mich, in jeder Hinsicht. Nimm das hier. Es ist seine Karte mit seinen sämtlichen Kontaktnummern. Mich kannst du noch bis morgen Vormittag erreichen. Um elf Uhr checke ich ein, ab dann herrscht vier Stunden Funkstille, bis die Maschine in Moskau gelandet ist.“
Die heutigen Ereignisse wirbelten Raabe auf dem Heimweg durch den Kopf. Als er das Treppenhaus zu seiner Wohnung betrat, ergriff ihn Unruhe – etwas stimmte nicht. Marion hatte auf sein Dreifachklingeln unten von der Haustür aus nicht reagiert – und sie empfing ihn nicht wie sonst an der Vorplatztür. Er schloss sie auf und rief nach ihr, durchlief hastig die Wohnung, knipste alle Lichter an – sie war nicht da. In der alten Kristallvase, Tante Idas Hochzeitsgeschenk, steckte ein Strauß weißer Rosen. Der Tisch im Esszimmer war für ihn allein gedeckt. Auf dem Herd stand ein Bräter, darin ein Kalbsnierenbraten, unberührt, lauwarm. In der Spüle ein Salatsieb mit welken Rucolablättern. Seine Unruhe erreichte ihren Gipfel, steigerte sich in Panik. Sein irrer Blick erfasste den DIN-A4-Bogen an der Pinnwand mit einer Mitteilung in Marions Handschrift. Der Anfang des Textes jagte ihm eiskalte Schauer über den Rücken.
„ Mein herzallerliebster Horst, Deine Anforderungen an meinen Gleichmut