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Requiem: Roman (German Edition)

Requiem: Roman (German Edition)

Titel: Requiem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eoin McNamee
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Prozesses hielt Richter Curran an seiner Gewohnheit fest, den Reform Club zu besuchen. Nacht für Nacht aß er allein am gleichen Tisch im eichenholzgetäfelten Speisesaal. An den Wänden hingen Porträts federgeschmückter Marschälle und Vizekönige, die in andere Länder abkommandiert worden waren, um dort zu herrschen und zu plündern, und der Richter fühlte sich heimisch in dieser Galerie melancholischer, korrupter Gesichter.
    Nach dem Abendessen spielte er in dem Raum, der den Mitgliedern vorbehalten war, Bridge, oder Billard mit Ferguson im Billardzimmer. Den Prozess erwähnte er mit keinem Wort, aber das hatte Ferguson auch nicht erwartet. Am Abend des 10. kam ein Portier ins Billardzimmer und teilte ihnen mit, dass im Erdgeschoss ein Polizist warte, der Ferguson sehen wolle.
    Ferguson ging nach unten, um den Polizeibeamten Rutherford aus Whiteabbey zu treffen, der ihn in der Eingangshalle erwartete. Ferguson führte ihn in ein Nebenzimmer.
    »Ihr Mann, McCrink, der Polizeikommissar.«
    »Was ist mit ihm?«
    »Er hat Mrs Curran besucht. Ist zur Irrenanstalt rausgefahren, um sie zu sehen.«
    »Ist er jetzt bei ihr?«
    »Er redet seit Stunden mit ihr.«
    »Und redet Mrs Curran auch mit ihm?«
    »Das hat man mir zumindest gesagt. Sie hat gute und schlechte Tage.«
    Ferguson ging ins Billardzimmer zurück. Richter Curran stand am Fenster und sah in die Oktobernacht und den nächtlichen Verkehr auf der Royal Avenue hinaus. Ferguson erzählte ihm, was Rutherford berichtet hatte.
    »Ich werde nicht zulassen, dass man meine Frau belästigt«, sagte Curran.
    »Was hat er vor?«, sagte Ferguson.
    »Was ist ein Mann wie er wert, Ferguson?«
    »Das werde ich herausfinden.«
    »Hat er eine Frau?«
    »Er hatte eine. Seit Langem abgehauen.«
    »Wie die Ihre«, sagte Curran.
    »Ja. Wie meine.«
    »Was ist Newry eigentlich für eine Stadt?«, sagte Curran.
    »Hat früher mal floriert, jetzt ist sie völlig heruntergewirtschaftet. Sind alles Gauner dort. Auf dem Markt wimmelt es von Männern, die dich ausnehmen, aber wenn es ans Arbeiten geht, dann rühren sie keinen Finger. Auf Sumpf gebaut.«
    »Sumpf?«
    »Sie brauchen einen Deich, um das Meer zurückzuhalten.«
    »Wie die Holländer. Nur dass die Holländer hart arbeitende, gottesfürchtige Leute sind.«
    Nach Doris’ Einweisung in die Klinik in Holywell war Ferguson mit dem Richter auf der Fähre nach Rotterdam gefahren. Sie hatten im Gesellschaftsraum des Schiffes Roulette gespielt und Siebzehn und Vier. Als sie in den Hafen einfuhren, stand der Richter an Deck. Er schien das Land, das er sah, zu billigen. Die Marsch, das trockengelegte flache Land, die Deiche und der Schlick wirkten, als seien sie dem Meer abgetrotzt.
    »Ich hab gehört, dass der Schmuggel in dieser Gegend floriert.«
    Curran stand mit dem Rücken zum Zimmer und starrte aus dem Fenster in das nächtliche Grenzgebiet, in die auf Sumpf erbaute Stadt, voll rechtswidrigen Handels.
    »Da gibt es nicht viel, was man vor Gericht bringen könnte«, sagte Ferguson.
    »Bastarde also. Hausierer und Straßenhändler.«
    Bastarde, stimmt, dachte Ferguson, andererseits musste man sich fragen, ob nicht auch Seine Lordschaft zu dieser Gruppe gehörte. Seit der Ermordung von Patricia und der Einweisung von Doris Curran hatte Ferguson im Stillen angefangen, Nachforschungen zu Currans Vorgeschichte anzustellen. Er hatte weder herausgefunden, wo der Richter geboren worden war, noch was er für eine Ausbildung genossen hatte. Wenn man die Lebensgeschichte von jemandem nicht aufdecken konnte, bedeutete dies nach Fergusons Erfahrung, dass dieser nicht wollte, dass sie aufgedeckt wird. Curran wandte sich wieder dem Zimmer zu, das Gesicht im elektrischen Licht blass und asketisch. Das Mitglied einer winterlichen Kohorte, die heruntergeritten war, um das Urteil zu verkünden.
    Bis jetzt hat er den Prozess streng nach Vorschriften geführt, dachte Ferguson. Ein Mann des Gesetzes. Aber Ferguson kannte den Richter. Er war hinterhältig und leitete seine Geschäfte wie ein alter Höfling. Er hat etwas in der Hinterhand, dachte Ferguson. Es gab nicht den Schatten eines Zweifels, dass McGladdery für das büßen würde, was in jener Nacht vor neun Jahren passiert war, als Curran mit der blutbesudelten Leiche seiner Tochter auf den Knien im Korso durch Whiteabbey gefahren war. Was hatte Curran in jener Nacht in Douglas gesagt? »Eine faire Rechtsprechung ist ein Nebenprodukt unserer Justiz, nicht ihr Sinn und Zweck.« Falls das Wort

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