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Requiem: Roman (German Edition)

Requiem: Roman (German Edition)

Titel: Requiem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eoin McNamee
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das machen, was man von ihm verlangte.
    *
    Während des Prozesses befand sich Agnes in einem Zustand der Verunsicherung. Sie sah ihre sogenannten Freunde von den Zeitungen auf dem Presserang, aber sie wichen ihrem Blick aus, sie hatten sie abgelegt wie ein abgetragenes Kleidungsstück. Sie hätte die Polizisten und Richter gerne gefragt, was im Gericht vor sich ging und wie ihre Rolle als Mutter aussah, aber man hätte ihr wohl nicht geantwortet. Sie führten sich auf, als gehörte ihnen die ganze Welt, doch das stimmte nicht, denn auch sie hatte darin ihren Platz. Über Pearl Gambles Schicksal gab es mehr als eine Geschichte zu erzählen. Ihr gegenüber saß ein Mann, der in den Zeitungen auftauchte, weil er sich mit dem Fall beschäftigte. Sie fragte den Gerichtsdiener, wer das sei, und der Gerichtsdiener antwortete: »McCrink, Her Majesty’s Inspector of Constabulary.« Agnes sah ihn vor dem Gericht mit dem Mackin-Mädchen aus der Bibliothek. Es täte ihm gut, sich in dieser Angelegenheit etwas schlauer zu machen, dachte sie, dann wäre er nicht so eingenommen von sich selbst.
    Man hatte ihr gesagt, dass man sie in den Zeugenstand rufen werde, um über Anzüge zu reden, aber dann taten sie es doch nicht. Sergeant Johnston war zu ihr nach Hause gekommen und hatte nach einem hellen Anzug gesucht, aber sie hatte ihm gesagt, Robert besitze keinen hellen Anzug, bloß einen dunklen. Das werden wir ja sehen, war alles, was er dazu gesagt hatte, ein Lächeln auf dem Gesicht, das schimmerte wie die Tafel auf einem Sargdeckel. Später hörte sie den Kronanwalt im Gerichtsgebäude von Newry sagen, dass sie wünschten, sie als Zeugin der Anklage vorzuladen. Ja, wollte sie rufen, ich klage an und bezeuge, dass sie zu meinem Haus gekommen sind und es auf den Kopf gestellt haben. Er mag ein Kreuz gewesen sein für mich und ein schwieriges Geschenk von einem Vater, der nichts von ihm wissen wollte, aber einem Mann wie Johnston würde ich ihn trotzdem nicht zum Fraß vorwerfen.
    Wenn sie Robert im Gericht sah, war es manchmal, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Nicht als den Mann, als der er sich selbst verstand, sondern als den kleinen Jungen, der im Hafenbecken in Warrenpoint schwimmen ging und rief: »Schau mich an, Mami, schau mich an.« Sie wünschte sich voller Inbrunst, er wäre damals in London geblieben und nicht in diese verkommene Stadt zurückgekehrt.
    Robert saß im Gericht und versuchte, das schlaue Gesicht zu machen, das bewies, dass er begriff, was hier vorging. Sie wusste von Anfang an, dass er versagen würde. Als sie hörte, er werde in den Zeugenstand gerufen, setzte ihr Herz für einen Schlag aus. Robert konnte sich nicht beherrschen. Er wollte wissen, wie die Dinge funktionierten, und benahm sich, als wüsste er über alles Bescheid. Abgesehen davon hatte er das weiße Gesicht, das er bekam, sobald sich Kopfschmerzen ankündigten. Agnes sah, dass der Staatsanwalt ein kalter, messerscharfer Mann war. Neben ihm saß der Richter auf der Bank wie ein Mann aus dem Alten Testament, der seine Hand ins Feuer legt, ohne sich zu brennen.
    *
    Montagmorgen war der Gerichtsraum voll bis zum letzten Platz. Es war bekannt, dass Robert in den Zeugenstand treten würde. Er würde für sieben Stunden verhört werden. In der Nacht zuvor hatte Hughes Robert auf seinem Bett sitzen sehen, den Kopf auf den Händen aufgestützt. Hughes hatte ihn gefragt, was nicht stimme, aber Robert hatte behauptet, alles sei in Ordnung. Trotzdem sagte Hughes am nächsten Morgen, vom großen Gerichtsanwalt sei da nicht mehr viel übrig gewesen. Und groß geredet habe er auch nicht an dem Morgen, sagte Hughes, dafür sei sein Gesicht erschreckend groß und weiß gewesen, sodass er Mitleid mit ihm empfand.
    Ein Gerichtsdiener geleitete Robert zum Zeugenstand, wo er den Eid schwor. Das also war der Augenblick, über den er in Krimis Hunderte von Malen gelesen hatte. Der unschuldige Mann wird den Anklägern vorgeführt. Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Eine Hand auf der Bibel, die andere erhoben. Er wollte, dass jedermann die Wichtigkeit dieses Moments sehen konnte, den Grundgedanken des Gelobens, den Mann, der vor seinen Gefährten schwört. Aber die Bibel war ein schäbiges Taschenbuch voller Flecken, und der Gerichtsdiener murmelte. Roberts Stimme überschlug sich und klang nicht überzeugend. Er fühlte sich, als stehe er neben sich und sehe sich dabei zu, wie er den Eid sprach.
    Die Geschichte entwickelte sich von Anfang an in eine

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