Rescue me - Ganz nah am Abgrund
hätten ein weiteres Jahr nicht miteinander geredet, und dann wäre er wohl in irgendein College abgezischt.“ Und ich hätte ihn nie wieder gesehen.
Diese Erkenntnis traf mich wie ein Schlag in den Magen. Hätte ich den Shelby nicht gekauft, hätte ich immer weiter einen auf depressiver Einsiedlerkrebs gemacht. In der Sicherheit meiner kleinen Muschel hockend, aber auch ziemlich einsam und allein. Und was wäre am Ende aus mir geworden? Auch ein kurzer Bericht in den Lokalnachrichten?
Der Friedhof. Ein eiskalter Schauer durchrieselte mich, als mir klar wurde, wie dicht am Abgrund ich mich schon befunden hatte.
Entschlossen schüttelte ich den Kopf. Soweit wollte ich es nicht noch einmal kommen lassen. So wie es aussah, sollte ich dem alten Tyler doch eine Chance geben.
Blieb nur zu hoffen, dass er die Angelegenheit unbeschadet überstand!
Ich setzte mich in den Schneidersitz auf, griff in meine Hosentasche und fummelte ein kleines goldfarbenes Emaille Schildchen hervor. Besah es von allen Seiten und drehte es dann zwischen meinen Fingern herum.
Es war ein Teil eines original 67-er Emblem Sets. Dieses Schildchen zeigte die angreifende Kobra und den GT500 Schriftzug. Dazu gehörte auch ein Tankdeckel, ebenfalls mit der Kobra. Diese Originalteile waren extrem selten, und wenn sie in die Versteigerung kamen, erzielten sie horrende Preise. Ich hatte es versucht – und gewonnen.
„Was hast du dafür hinblättern müssen?“, fragte Dad interessiert.
„Knapp fünfhundert Dollar für fünf Teile.“
Dad pfiff leise durch die Zähne. „Du musst den Kleinen wirklich sehr gern haben!“
„Gerne ist gar kein Ausdruck, Dad. Ich liebe …“, rutschte es mir heraus. Abrupt hielt ich inne. War ich gerade drauf und dran, einem Hirngespinst zu erklären, was ich für Ryan empfand? Ich musste verrückter sein, als ich dachte. Dann seufzte ich erleichtert auf, denn zum Glück existierte ‚invisible Dad‘ ja bloß in meiner Einbildung. Lieber wäre ich zu Fuß durchs Death Valley getrabt, als meinem Vater jemals zu gestehen, in Ryan verliebt zu sein! Vermutlich hätte er es nicht so locker aufgefasst wie Rick.
So aber lachte Dad nur leise und meinte: „Du brauchst nichts weiter zu sagen. Schon klar.“
Noch einmal seufzte ich. Diesmal aber bedauernd. Dieses Gerede mit Dad musste aufhören! Sonst schnappte ich irgendwann doch noch über. Und könnte meinen Outfits eines mit Zwangsjacke hinzufügen.
Ich steckte das Emblem in meine Hosentasche zurück. Zum wiederholten Male blickte ich zu Ryan hinüber. Brad und Mike waren gerade dabei, den Mustang in die Garage zu verfrachten, und Ryan stand da und sah bloß zu. Endlich stand er mal ganz still. Hatte diesen verträumten Blick, sah etwas, was nur er sehen konnte.
Unwillkürlich streckte ich die Hand nach ihm aus. So gerne würde ich ihn jetzt in meine Arme schließen, ihn berühren, mich vergewissern, dass ich mir dies alles hier nicht ebenso einbildete, wie die Gespräche, die ich mit einem imaginären Dad führte.
Ryan musste gespürt haben, wie ich ihn beobachtete, denn er schaute zu mir herüber. Unsere Blicke trafen sich, hielten sich fest – und dann, dann lächelte er mich an.
Strahlend. Warmherzig. Liebevoll. So, als bedeutete ich ihm wirklich etwas. Es war genau dieses Lächeln, welches ich mir insgeheim immer von ihm gewünscht hatte. Es war, als ginge plötzlich die Sonne auf. Nur für mich ganz allein. Ich spürte, wie es mir den Boden unter den Füßen wegriss. Wie mir die Luft wegblieb – und ich mich noch mehr in ihn verliebte. Noch so ein Lächeln und ich würde wissen, wie es sich anfühlte, zu fliegen. Noch so ein Lächeln und …
Oh Gott. Mir war ganz flau. War ich wirklich so … so … verzweifelt? Ryan lächelte mich an, und ich würde nichts lieber tun, als ihm all meinen Besitz zu Füßen zulegen? Die Viper? Mein restliches, nicht unbeträchtliches Erbe? Mich?
Ich atmete tief durch und lächelte verhalten zurück. Ja. Genau das würde ich tun. Ein weiterer Gedanke schoss mir durch den Kopf: Was für hirnloses Zeug würde ich erst tun wollen, wenn wir miteinander geschlafen hätten?
Nicht, dass ich mir in naher Zukunft Hoffnungen darauf machen konnte. Er ließ sich von mir küssen, hatte sich vorgestern wohl im Eifer des Gefechts auch einen blasen lassen – so weit, so gut.
Aber seitdem hatte es kein weiteres intimes Stelldichein gegeben. Im Gegenteil. Immer, wenn ich ihn an mich ziehen wollte, um mehr mit ihm zu tun, als ihn
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