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Resturlaub

Resturlaub

Titel: Resturlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommy Jaud
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Kneipentour mit Luna umzuziehen. Aus dem Wohnzimmer dringt argentinische Musik, die sich so melancholisch anhört, als hätte sich in einem französischen Schwarzweißfilm ein liebeskranker Akkordeonspiel er ein Messer ins Herz gejagt. Selbst Keks sitzt zusammengesunken am Küchentisch, während sie auf ihren Kopien Dialogstellen mit Textmarker anstreicht. Als sie mich sieht, springt sie auf und nimmt die Tüte mit den Besorgungen an sich.
    »Bidschi! Wie war's in der Gemütlichkeit?«
    »Äh, gut. Jemand gestorben?«, frage ich vorsichtig.
    »Bedros Mutter«, antwortet Keks flüsternd.
    »Noch mal?«
    »Vor genau drei Jahren! Hab ich dir doch erzählt!«
    »Oh«, sage ich, »der arme Bub!«
    »Der arme Bub ist 39!«
    »Trotzdem!«
    Auch wenn ich Pedro gar nicht wirklich kenne, fühle ich mich betroffen. Behutsam ziehe ich mir einen Stuhl heran, setze mich und packe mein lauwarmes Kasseler aus.
    »Hasde dir was mitgebracht?«
    »Kasseler!«, sage ich und hab fast ein schlechtes Gewissen dabei.
    »Unglaublich, dass ich so was esse hier, oder?«
    »Warum? Wenn man seit Jahren in einem fremden Land wohnt, dann kriegt man schon mal Appetit auf was Deutsches!«, lacht Keks.
    »Haha!«, sage ich trocken und nehme einen Bissen. Es ist halb kalt, aber lecker.
    Keks begutachtet den Inhalt der von Stefano gepackten Tüte und verstaut alles im Kühlschrank. Da ich nach meinem Kasseler noch eine gute Stunde Zeit habe bis zum Luna-Treff, beschließe ich, mal nach Pedro zu schauen.
    »Pedro ist im Wohnzimmer?«, frage ich Keks, die noch immer an ihren Texten herumstreicht.
    »Ja!«
    »Und was ist das für Musik, die er hört?«
    »Die Lieblingsplatte seiner Mutter. Piazolla, glaube ich.«
    Wer auch immer dieser Piazolla ist oder war: Er hat das beeindruckende Kunststück vollbracht, dass sich jeder bei seiner Musik sofort so fühlt, als sei die eigene Mutter gleich mitgestorben. Vorsichtig erhebe ich mich aus meinem Küchenstuhl. Das Orchester der freudlosen Akkordeonspieler dringt inzwischen so laut aus dem Wohnzimmer, ich hätte den Stuhl ebenso unbemerkt gegen die Wand donnern können.
    »Ich schau mal nach ihm!«
    »Okay«, flüstert Keks, »und danke für die Besorgungen! Ich bin übrigens später mit einer Freundin was trinken in Las Canitas, wenn du mit willst?«
    »Danke«, sage ich, »später ist so eine Kneipentour mit der Schule, da hab ich mich eingetragen!«
    »Nicht schlimm. Wie sehen uns ja morgen zum fränkischen Abend!«
    Für den ich auf alle Fälle noch eine wunderprächtige Ausrede brauche. Ich nehme meine Biereinkäufe aus der Tüte und schleiche mich unter den anklagenden Klängen eines verzweifelten Akkordeonspielers ins abgedunkelte Wohnzimmer.
    Pedro liegt mit ausdrucksloser Miene auf der grünen Couch, in der Hand eine Dose Bier, und starrt an die Decke. Das einzige Licht des Raumes entstammt einer Tischlampe auf der Kommode und einigen Kerzen auf dem Wohnzimmertisch neben dem Bild von Pedros Mutter. Behutsam stelle ich meine Bierdosen auf den Couchtisch und setze mich auf den Sessel neben Pedro. Das Lied steigert sich in Lautstärke und Dramatik, als wolle das Orchester meinem Erscheinen einen besonderen Ausdruck verleihen. Dann ist Stille für einen Augenblick.
    »Hello«, sage ich, nachdem sich der letzte Akkordeonspieler vor lauter Schwermut in den Orchestergraben gestürzt hat. Pedro zuckt trotzdem zusammen, als meine Stimme die schwere Stille durchschneidet. Als er sich zu mir umdreht, hellt sich seine Miene ein wenig auf.
    »Ahh ... Peter, the cleaning man«, begrüßt er mich schwach. »Too loud the music?«
    »No, it's okay«, sage ich und schiebe ihm die Bierdosen zu. »Want to make a beer test with me?«
    Vorsichtig setzt Pedro sich auf, dreht die Musik leiser und schaut mich mit seinen ebenso traurigen wie runden Augen an.
    »Yes! Beer test, why not«, sagt er und öffnet sich eine Dose Isenbeck. Als wir anstoßen, bemüht er sich um ein Lächeln, um direkt nach dem ersten Schluck wieder in seiner grünen Couch zusammenzusacken.
    »Three years ago«, setzt er an und nippt ein weiteres Mal an der Dose, »three years ago, I came home from the pub and found my mother dead!«
    »Oh!«, sage ich und schlucke. »Where?«
    »In the sofä you sit!«
    Zögerlich lasse ich meine Augen über den Sessel wandern, in dem Pedro vor drei Jahren seine Mutter fand und in dem ich nun sitze. Ich frage ihn, ob ich mich woanders hinsetzen soll.
    »No, no ... it's okay!«
    Für einige Minuten sitzen wir nur so da

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