Resturlaub
Enttäuscht stecke ich meinen Textmarker weg, schlage die Zeitung zu und schaue in das halb leere Restaurant. Aus der Tiefe des Raumes nähert sich ein Kellner und steuert genau auf meinen Tisch zu. Ich schaffe es gerade noch, einen schnellen Blick auf meine orangene Restaurant-Vokabelkarten zu werfen.
»^Un postre, senor?«
Das war irgendwas mit Nachtisch, da bin ich mir ziemlich sicher. Ich lasse die Karte im Ärmel verschwinden und frage, so souverän es geht, was es denn für Nachtische gäbe:
»^Que ... hay de postre?«
Ein Fehler.
» Helado, frutas frescas, arroz con leche, budin de pan y ...
flan!«
Es ist wirklich zum Kotzen, wie schnell dieses Kellnerpack seine Nachspeisen herunterrattert!
»^Flan?«
»jFlan!«
»Un flan, por favor!«
»Muy bien! Ya se lo traigo!«
Dumm, dass ich die einzige Nachspeise, die ich verstanden habe, nicht wirklich gerne mag.
Ich schaue frustriert auf die Titelseite des Argentinischen Tageblatts, als mir die Idee kommt. Wenn schon kein Job IN der Zeitung steht, dann gibt es doch bestimmt einen Job BEI ihr! Ich könnte ab sofort einfach Augen und Ohren offen halten. Als Neuankömmling sieht man oft mehr als jemand, der schon Jahre in der Stadt wohnt. Und wenn ich eine Story habe, dann statte ich der Redaktion einen Besuch ab. Und noch während ich aufgeregt meinen flan auslöffle, male ich mir aus, wie ich als Journalist in Buenos Aires lebe und mir durch meine knallharte Recherche und außergewöhnliche Geschichten einen Namen mache. Vorher muss ich nur noch Arne bitten, den Bambus festzubinden, eine zehnjährige Beziehung beenden und den Leberkäse für Keks abholen.
Spitz!
DER CHEF DER Gemütlichkeit ist ein ziemlich netter Kerl. Als es vor der Gaststätte langsam dunkel wird, habe ich bereits das dritte eisgekühlte Gratis-Warsteiner, so nett ist er. Leider macht es mich fast wahnsinnig, dass auf fast jedem Gegenstand in der Gaststätte »Zum Gemütlichkeit« steht. Auf den Bierdeckeln, auf Schildern, auf der Karte. Die Gemütlichkeit selbst ist relativ schlicht eingerichtet. Die einfachen Holztische sind mit roten und grünen Tischdecken bezogen, auf denen sich jeweils ein Aschenbecher aus Holzimitat und ein Körbchen Erdnüsse sowie die Speisekarte befinden. Die Wände schmücken diverse Bierplakate und ein einziges Geweih. Aus den Lautsprechern über mir tönt das nicht mehr ganz taufrische »Nur geträumt« von Nena. Es ist seltsam, aber irgendwie fühle ich mich wie in Bamberg. Dort spielen sie auch immer Musik, die nicht mehr ganz taufrisch ist.
»Ich mache Leuchtschild an«, lächelt Stefano und drückt auf einen Schalter hinter einem Regal. Ich drehe mich um und sehe »Zum Gemütlichkeit« nun auch noch in bunten Lettern in der Scheibe gespiegelt.
»Spitz, oder?«, lächelt Stefano, der mit seinen schulterlangen, blonden Haaren und den feinen Gesichtszügen eher an einen schwedischen Buchhalter als an einen argentinischen Wirt erinnert.
»Spitze!«, sage ich und bekomme einen vierten Krug vor die Nase gestellt.
»Das war's dann aber«, protestiere ich, schließlich will ich nicht schon betrunken zu Lunas Kneipentour kommen. Nach drei Stunden an Stefanos selbst gezimmerter Bar, die einem Blockhaus nicht unähnlich ist, weiß ich schon einiges über ihn. Dass er für die Fachwerkfassade fast zwei Monate gebraucht hat, dass er erst seit einem Jahr Deutsch lernt und dass der Leberkäse aus einer Metzgerei in Belgrano kommt und sich noch zwei Tage hält. »Es war eine ganz schöne Kampf zuerst, die Leberkäse zu bekommen«, stöhnt Stefano und setzt sich auf die andere Seite der Bar. »Die einen hatten Wurst, aber keinen Leberkäse, in Rosario sie hatten gute Kraut, aber keine Wurst. Jetzt kaufe ich alles in Belgrano bei eine große Metzgerhändler!«
Interessant! Vielleicht ja ein Ansatz für meine knallhart recherchierte Story im Argentinischen Tageblatt?
»Kann man vielleicht sagen, dass es so eine Art Leberkäsmafia gibt in Buenos Aires?«, frage ich.
Verdutzt schaut mich Stefano an.
»Absolut nein!«
»Eine Wurstmafia auch nicht?«
Stefano schüttelt den Kopf.
Schade!
Ich sollte Keks' Leberkäse packen und gehen. Aber wahrscheinlich liegt es an meinem vierten Bier, dass ich bei einem Lied von der Spider Murphy Gang ein Kasseler mit Kartoffelbrei bestelle und zu Stefano sage:
»Ich will hier bleiben, weißt du? In Argentinien!«
Stefano stellt ein frisch gespültes Glas in den Schrank und dreht die Musik leiser.
»Weißt du, was seltsam
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