Rette meine Seele - Vincent, R: Rette meine Seele
Eingeweide scheinbar jeden Moment zu explodieren drohten, und konzentrierte mich stattdessen auf die Unterwelt. Ich wollte dorthin und den Hellion finden, der die Seelen der Page-Mädchen verschlungen hatte. Ich wollte ihre Seelen zurückholen.
Anfangs passierte gar nichts, doch als der Schrei sich immer ungestümer entfesselte, erkannte ich das Problem. Die Furcht vor einer erneuten Begegnung mit dem Klingenweizen überlagerte anscheinend den Wunsch, die Welten zu wechseln. Also schob ich unter Aufbietung aller Kräfte die Erinnerung an die messerscharfen Halme beiseite. Nash hatte mir schließlich versichert, dass sie in einer so bewohnten Gegend wie hier nicht wachsen konnten.
Und plötzlich verblasste das Stadion hinter einem konturlosen Dunstschleier, sodass ich einen Moment lang nur Grau sehen, Grau fühlen konnte. Bei meinem ersten Ausflug in die Unterwelt war mir diese erdrückende Leere erspart geblieben, weil ich die Augen zugekniffen hatte. Es fühlte sich so an, als hätte die Welt mich verschluckt und in eine Nebeldecke gehüllt.
Verzweifelt fuchtelte ich mit den Händen durch die Luft und tastete blind nach Nash. Ich wollte auf keinen Fall noch einmal zurückgehen und die Prozedur wiederholen müssen, um ihn zu holen.
Jemand griff nach meinen Händen, und ich spürte sofort, dasses Nash war. Ich hielt ihn ganz fest, und plötzlich stellte sich die Welt um mich herum wieder scharf.
Aber es war nicht meine Welt. Es war die Unterwelt. Zum zweiten Mal.
Mein erster Besuch hatte mich auf diesen Trip genauso wenig vorbereitet, wie ein Ausflug auf den Bauernhof einen Außerirdischen auf New York City vorbereiten würde.
Was mich am meisten überraschte, war, dass es in der Unterwelt Bürgersteige gab – ein Zeichen von Zivilisation und bürgerlicher Ordnung, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Das Stadion existierte auf beiden Ebenen. Es war ein Zentrum menschlicher Aktivität und damit ein Fixpunkt, der die Ebene der Menschen an die Unterwelt heftete wie ein Schnittmuster an ein Stück Stoff. Dort, wo die Nadel beide Ebenen durchstach, lagen sie eben und flach übereinander, sodass Zeit und Raum relativ konstant waren. Aber zwischen den Nadeln konnte sich die untere Ebene – die Unterwelt – ausbeulen, verrutschen und Falten werfen. Dort geschahen dann die wildesten Dinge.
Was noch lange nicht hieß, dass bei den Ankerpunkten alles normal ablief …
„Wie kommt es, dass es in der Unterwelt Bürgersteige gibt?“, flüsterte ich und ließ Nashs Hand los, um mir die schwitzigen Handflächen an der Jeans abzuwischen. Mein Herz klopfte immer noch so wild, dass mir fast ein wenig schwindlig war. „Und Parkplätze. Gibt es hier etwa auch irgendwelche mysteriösen Bauunternehmen?“ Ich wollte lieber nicht darüber nachdenken, was die Unterweltsmafia in den Fundamenten ihrer Gebäude alles begrub.
„Nein.“ Todd lächelte amüsiert. „All diese Dinge stammen aus unserer Welt. Sie werden, zusammen mit riesigen Mengen menschlicher Energie, praktisch hierher versetzt. Je stärker derVerankerungspunkt ist, umso mehr ähnelt es hier unten der normalen Welt.“
„Städte wie L. A. und New York sehen in der Unterwelt also …“
„… ungefähr genauso aus“, beendete Nash den Satz. Trotz der angespannten Situation lächelte er. „Mit Ausnahme der Wesen, die über die Gehsteige spazieren.“
Ich stemmte die Hände in die Hüften und sah mich genauer um. Das Stadion sah ganz normal aus, aber die wenigen Autos, die vorhin auf dem Parkplatz gestanden hatten, waren verschwunden. „Wo ist diese Entsorgungsstation?“
„Äh …“ Todd deutete vage in Richtung Stadion. „Ich denke mal, dass es das ist.“ Er zuckte die Schultern. „Schließlich spielt hier ja niemand Football, stimmt’s?“
Ich nahm das Stadion genauer unter die Lupe und suchte nach irgendeinem Anzeichen von Betriebsamkeit. Wenn das hier eine Sammelstelle war, musste es doch Sicherheitsleute oder Warnschilder oder so etwas geben. „Wo sind denn alle? Was ist mit den Monstern los? Müssten sie hier nicht irgendwo rumlaufen?“ Zugegebenermaßen hatte ich keine große Lust, einem von ihnen zu begegnen.
„Ich …“
Todd kam nicht dazu, den Satz zu beenden, weil Nash mich am Arm packte. „Hast du das gesehen?“, flüsterte er aufgeregt und starrte angestrengt zum Haupteingang hinüber.
Ich folgte seinem Blick. In dem gespenstisch roten Licht der Mondsichel warf der überdachte Eingangsbereich des Stadions einen lang gezogenen
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