Rettet den Euro!: Warum wir Deutschland und Europa neu erfinden müssen (German Edition)
Linie.
Keine formelle Abmachung
Zu dieser politischen Konfliktlinie kam die deutsch-deutsche Wiedervereinigung. Durch die Integration von Ostdeutschland wurde die Bundesrepublik deutlich größer als Frankreich. Das Gleichgewicht der Kräfte innerhalb der Union, auf der die gesamte europäische Einigung beruhte, wurde gestört. Es gab nur zwei Lösungen. Entweder würden die Siegermächte der deutschen Wiedervereinigung widersprechen und sie damit unmöglich machen. Das war aufgrund des Drucks durch die Bürgerproteste in Ostdeutschland schwer möglich. Oder aber man müsste – so wie man es nach dem Zweiten Weltkrieg gemacht hatte – die europäische Integration verstärken und noch mehr nationale Souveränität an die Gemeinschaft übertragen.
Dieser Weg wurde dann auch begangen. Es wurde eine Währungsunion beschlossen, in die die nationalen Währungen, vor allem die D-Mark, eingehen würden. Damit hatte man den Deutschen den Trumpf der starken Währung genommen.
Wie diese Einigung zustande gekommen ist, darüber wurde und wird immer noch viel gerätselt. Vor allem wird gestritten, ob es eine formelle Abmachung »Wiedervereinigung gegen Währungsunion« gegeben hat. David Marsh, der die Akten jener Zeit sehr intensiv studiert hat, hält das für nicht wahrscheinlich. In seinem Buch sagt er: »Eine förmliche Abmachung, nach der Deutschland als Preis für die Einheit die D-Mark aufgeben würde, wurde nie getroffen … Die Bereitschaft der Deutschen, die D-Mark zu opfern, war nicht Voraussetzung für die Wiedervereinigung, sondern ihre Folge. Wäre die Einheit nicht zustande gekommen, hätte Frankreich Kohl sehr wahrscheinlich nicht dazu bewegen können, dem Zeitplan für die Währungsunion zur Ablösung der D-Mark zuzustimmen.« (Marsh 2009, S. 196)
Geblieben ist ein ungutes Gefühl in der deutschen Öffentlichkeit. Die Bundesrepublik musste die D-Mark hergeben, um die Wiedervereinigung zu erhalten, so heißt es noch immer in bestimmten Kreisen. Die Währungsunion war kein freiwilliger Akt. Er war nicht durch die Vorteile der stärkeren Integration notwendig geworden. Er war den Deutschen abgetrotzt worden.
Das ist die »Dolchstoßlegende« der gemeinsamen Währung. Sie belastet die Diskussion über die Gemeinschaftswährung. Wir wissen aus der Geschichte, wie hartnäckig sich solche Gerüchte unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt halten können.
4. Das Wunder der Einführung des Euro
Unbestreitbar dagegen ist, dass die Einführung des Euro die größte und erfolgreichste gemeinsame wirtschaftliche Aktion war, die es in Europa je gegeben hat. Schade, dass sie so schnell in Vergessenheit geraten ist.
Die Einführung des Euro fand – was ein Vorteil war – in zwei Stufen statt. Zunächst wurde am 1. Januar 1999 das Buchgeld auf die neue Währung umgestellt. Drei Jahre später, am 1. Januar 2002, wurde das Bargeld umgetauscht. In zwölf Ländern mit 308 Millionen Einwohnern mussten Münzen und Banknoten ausgewechselt werden.
Für eine derartige Aktion gab es keinerlei Erfahrungswerte. Dass sie so reibungslos abgewickelt wurde, hätte niemand der europäischen Wirtschaft und den zuständigen Zentralbanken zugetraut.
Die Umstellung für die erste Stufe zog sich insgesamt über mehr als ein halbes Jahrzehnt hin. Zuerst mussten die ganzen EDV-Systeme umgestellt werden. Die großen Banken und Industrieunternehmen begannen damit schon Mitte der 1990er Jahre. Die Schwierigkeit lag nicht nur in der Programmierung der neuen Systeme, es gab auch eine psychologische Hürde. Denn zu jener Zeit war die Zahl der Zweifler und Skeptiker noch sehr groß. Die Vorstände mussten Geld und Ressourcen für ein Projekt freigeben, an dessen Realisierung sie zu dieser Zeit kaum glaubten. Ich selbst war in der HypoVereinsbank-Gruppe für die Umstellung auf den Euro verantwortlich. Immer wieder riefen mich Vorstände der Bank an und meinten: »Machen Sie nicht so schnell. Der Euro kommt doch sowieso nicht. Die Regierungen werden das bald wieder abblasen.«
Etwas geisterhaft war die erste Stufe mit dem Euro als reine Buchwährung schon. Den ganzen Tag hatte ich in der Bank mit dem Euro zu tun. Und wenn ich nach Hause fuhr, bezahlte ich in der S-Bahn mit D-Mark. Die Europäische Zentralbank steuerte eine Währung, die niemand gesehen hatte und die niemand anfassen konnte. Die große Masse der Bevölkerung kümmerte sich damals aber noch nicht darum.
Die Einführung des Buchgelds in Euro verlief insgesamt ohne
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