Rettet unser Geld
das Geld schon verplant: Nicht nur, um zwischen unserer Wohnung in der St. Benedictstraße und ihrem Papierwarengeschäft am Jungfernstieg pendeln zu können, sondern vor allem, um ihre Kunden besuchen zu können, kaufte sie sich einen nagelneuen Borgward Hansa 1500, einen der schicksten Mittelklassewagen, die über Deutschlands löcherigen Asphalt fuhren. Damals hätte ich mir nicht im Traum vorstellen können, dass die Straßen Hamburgs und Berlins im Jahr 2010 wieder mit ebenso vielen Schlaglöchern übersät sein würden wie Anfang der 50er Jahre.
Ich bin aufgewachsen mit der Mark, und ich fand es schön, dass es eine ausdrücklich »Deutsche« Mark war. Alle ökonomischen Fortschritte unseres Landes hingen unmittelbar mit ihr zusammen. Sie stellte zugleich die Wirklichkeit unseres neuen Wohlstands und dessen Symbol dar - gerade auch für unsere Nachbarn.
Die D-Mark wurde Deutschlands Markenzeichen, und schon bald nach ihrer Einführung stieg sie zu einer der härtesten Währungen der Welt auf. Dank Geldwertstabilität und wachsender Nachfrage war bald - unvorstellbar heute - Vollbeschäftigung erreicht, und hohe Handels- und Zahlungsbilanzüberschüsse schlugen sich in steigenden Devisenbeständen nieder. Weit entfernt davon, immer neue Schuldenberge aufzutürmen, erwirtschaftete die Bundesrepublik zwischen 1953 und 1957 Überschüsse, die angespart werden konnten - auch dies ist heute unvorstellbar. Die Liberalisierung des Handels- und Zahlungsverkehrs mit dem Ausland und der Start der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG brachte den Deutschen 1958 endgültig die »goldenen Zeiten«, die als Wirtschaftswunder in die Geschichte eingegangen sind.
Als ich 1956 meine erste grenzüberschreitende Fahrradtour unternahm, die mich über Trier und Luxemburg nach Paris führte, musste ich zum ersten Mal Geld umtauschen. Und dabei fiel mir auf, wie reich ich doch war. Für ein paar deutsche Scheine erhielt ich massenhaft Francs, mit denen ich mir viel mehr kaufen konnte als zu Hause. Mein Geld, das wurde mir schnell klar, war im Ausland sehr viel mehr wert, das heißt, dass unser Land und seine Wirtschaft sich hoher Wertschätzung erfreuten. Man wird mir nachsehen, dass mich das mit nicht geringem Stolz erfüllte.
Als man uns bei der Einführung des Euro als dessen Hauptvorteil anpries, dass man künftig sein Geld nicht mehr umtauschen
musste, verdrängte man, dass dieser Vorgang, so lästig er im Einzelnen sein mochte, die Überlegenheit unserer Währung in klingender Münze demonstriert hatte. Auch wenn noch die Schatten der Vergangenheit auf uns lagen - unser Geld war überall willkommen. Vor Einführung des Euro zahlten sich Urlaubsreisen in Europa immer aus, das heißt, man bekam alles zu Spottpreisen, und von Jahr zu Jahr stieg der Wert unseres Geldes weiter, bekam man beim Umtausch mehr Lire oder Peseten. Einmal war die Mark sogar stärker als der Schweizer Franken, man konnte ihn für 80 Pfennig kaufen. Allein zwischen 1972 und 1978 gab es im europäischen Wechselkursverbund insgesamt 17 Auf- und Abwertungen. Die D-Mark befand sich dabei stets auf der Aufwertungsseite, und an den Börsen gab es keinen Zweifel, dass die Deutsche Mark zur Leitwährung in Europa geworden war.
Für zig Millionen Deutsche wurde die D-Mark das Identifikationssymbol schlechthin, das den Wiederaufbau, das Wirtschaftswunder und die simple Tatsache verkörperte, dass Leistung sich lohnte. Und jene Deutschen, die das Pech hatten, mit der kümmerlichen Ost-Mark bezahlen zu müssen, träumten davon, irgendwann auch an diesem Markenzeichen teilhaben zu können, dem die ganze Welt Respekt zollte.
Ein Hauptvorteil der kontinuierlich steigenden D-Mark bestand natürlich in den ebenso kontinuierlich sinkenden Importkosten. Die Konsumenten konnten sich fast alles leisten, was der Weltmarkt ihnen anzubieten hatte, und die deutschen Unternehmen kauften ihre Rohstoffe oder Zulieferteile günstiger ein als etwa die Franzosen oder die Portugiesen. Jahrelang fand sich weltweit kein zweiter Markt, auf dem der Konsument über eine vergleichbare Kaufkraft verfügte wie der deutsche.
Für ausländische Firmen kam ein zusätzlicher Anreiz hinzu, ihre Waren auf diesen Vorzugsmarkt zuzuschneidern: Verkauften
sie ihre Produkte in Deutschland und ließen sich mit deutscher Hartwährung bezahlen, konnten sie das Währungsgefälle ausnutzen, also die erlösten Mark-Beträge in ihre heimische Währung umtauschen und zusätzlichen Gewinn einstreichen. Es
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