Rettet unser Geld
Wünschbarkeiten. Eindeutig ließ sich damals registrieren, dass sich in fast allen Bereichen wieder die alten Gewohnheiten einstellten: Schuldenmachen wurde wieder zur Selbstverständlichkeit, die Inflation bedauerte man als Schönheitsfehler, und immer deutlicher ließ sich das Bestreben bemerken, eine europäische Wirtschaftsregierung einzuführen - auch während des Brüsseler Putsches hatte Sarkozy diese Idee immer in seinem Musterköfferchen dabei: sechzehn Euro-Länder, die alle von Paris aus koordiniert werden.
Hauptsächlich wegen dieses zentralistischen Denkens möchte ich die Franzosen der Südgruppe zuordnen. Zudem bleibt ihre Wirtschaft in betonter Distanz zum Wettbewerbsgedanken, wie er etwa unsere Unternehmen prägt. Während wir darin eine sportliche Herausforderung und die Chance sehen, durch Kräftemessen das Beste zu erreichen, empfinden französische Politiker einen Konkurrenten fast wie einen Eindringling ins eigene Terrain. Bei meiner langjährigen Tätigkeit in
französischen Gremien wie etwa dem Aufsichtsrat der Telefongesellschaft Orange wurde mir immer wieder die Erfahrung bestätigt, dass man Konkurrenz nicht als etwas Positives, sondern als Belastung empfand. Viele französische Wirtschaftsführer sehen den Wettbewerb als etwas, das man hinnehmen muss, wie man schlechtes Wetter hinnimmt: Man weiß sich zwar zu schützen, aber schöner fände man es, wenn es gar nicht nötig wäre.
Mehr noch als die Wirtschaft neigt die französische Politik zu einer Philosophie, in der Partnerschaft nicht gegenseitigen Ansporn zur Leistungssteigerung bedeutet, sondern exakten Gleichschritt. Sehr entlarvend in dieser Hinsicht fand ich die Äußerungen der Wirtschafts- und Finanzministerin Christine Lagarde, die den Deutschen mehrfach vorwarf, sie exportierten einfach zu viel - als handle es sich dabei um eine Sünde oder zumindest eine grobe Unfreundlichkeit gegenüber einem lieben Partner, mit dem zusammen man durch die Weltgeschichte joggt. Die Franzosen haben nichts gegen einen Marathonlauf, aber sie würden gerne vorher festlegen, wann alle die Ziellinie zu passieren haben, und zwar gleichzeitig.
In Madame Lagardes Sprache heißt das, dass Frankreich und Deutschland eine »ausgeglichene Handelsbilanz« erreichen sollen - womit sie tatsächlich in einem perfekten Widerspruch zu uns steht: Für unsere Wirtschaft steht das Resultat am Ende, während sie mit dem Resultat beginnen möchte. Und dazu führt nur der Zentralismus, also die Planwirtschaft.
Schon in den 80er Jahren, als ich zum zweiten Mal in Paris lebte und für die IBM Verantwortung für die meisten europäischen Länder trug, ist mir aufgefallen, wieviele Unternehmen in Frankreich - im Gegensatz etwa zu den USA - verstaatlicht sind, was einem oft erst bei genauerem Hinsehen auffällt. Auch heute noch liegt die gesamte Stromversorgung einschließlich
der vielen Atomkraftwerke in staatlicher Hand. Auch an der Air France, die fleißig mit der privaten Lufthansa konkurriert, ist der Staat beteiligt. Und bei den vielen Aufsichtsratstreffen von Orange, an denen ich teilgenommen habe, saß immer ein Vertreter der Regierung dabei und hörte aufmerksam zu - mir erschien er wie ein Trojanisches Pferd des französischen Finanzministeriums.
Schon aufgrund ihrer Ausrichtung auf die Metropole Paris ist Frankreichs Wirtschaft anders strukturiert. Das bedeutet nicht automatisch, dass dieses Konzept schlechter funktioniert, aber sehr wohl, dass es anders funkioniert als das unsere. Würden wir dieses zentralistische System übernehmen, käme es bei uns vermutlich zu einem deutlichen Leistungsabfall. Umgekehrt bin ich nicht sicher, ob sich unser Wettbewerbsmodell für die Franzosen überhaupt zur Nachahmung eignet. Das muss es auch nicht, und zumindest die Franzosen scheinen das genauso zu sehen. Mir fällt auf, dass Frankreich sich in den letzten zwanzig Jahren dem deutschen Erfolgsmodell keinen Schritt angenähert hat - zwar möchte man so effizient sein wie die Deutschen, aber möglichst nicht auf deutsche Weise. Auch wenn die Politiker sich noch so oft umarmten, blieben beide Modelle einander bis heute fremd. Aber laut äußern will das niemand.
Das heißt nicht, dass Paris mit seinem Zentralismus alleinstünde. Auch andere Euro-Länder denken vom Staat her und versuchen, ihre Wirtschaft nach Art der Madame Lagarde zu planen. Sie alle fühlen sich sicherer, wenn der Wettbewerb engen politischen Vorgaben folgt, womit der Zentralismus übrigens seine
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