Rettet unser Geld
enge Verwandtschaft mit dem Sozialismus zeigt: Beide wollen verhindern, dass Individuen oder einzelne Unternehmen den vorgegebenen Rahmen sprengen und anders denken oder kostensparender produzieren, als es das Plansoll erfordert.
Als Athens Schulden-und-Lügen-Wirtschaft bekannt wurde, griffen auch die Griechen zum Lagardeschen Rezept und führten ihre Probleme darauf zurück, dass »die Deutschen zu viele Waren in das Land exportierten«. Mit anderen Worten, wir waren schuld daran, dass sie so viel von uns importiert haben. Dabei lag das Problem nicht darin, dass sie importiert haben, sondern dass sie das Geld, das dazu nötig war, gleich mit importiert haben. Der bis 2008 größte Nettoempfänger von EU-Beihilfen war Griechenland, erst 2009 wurde dieses kleine Land durch das viel größere Polen abgelöst.
Zu einer solchen Umdrehung von Schuld und Schulden neigen alle sozialistischen Welterklärungsmodelle. Auch deutsche Linke behaupten, ein Handelsbilanzüberschuss, wie ihn unsere Ökonomie erwirtschaftet, sei im Grunde von Übel, weil er auf Kosten jener gehe, die unsere Waren kaufen und konsumieren. Mit derselben Logik könnte man jedem Gemüsehändler auf dem Markt vorwerfen, er mache uns, die wir seine Waren kaufen, eben dadurch zu seinen Opfern, dass er so schöne Avocados und Auberginen in der Auslage hat.
Seltsamerweise ist noch niemand auf die Idee gekommen, den deutschen Handelsbilanzüberschuss zu relativieren. Die Handelsbilanz zeigt Waren physischer Art, das heißt Waren, die man anfassen kann: Autos, Maschinen oder Polymere. Es gibt aber immer mehr »unsichtbare« Waren, die man nicht anfassen kann: industrielle Dienstleistungen, Software, Einkommen aus Copyrights, Lizenzen und Patenten. Diese »Waren« sind genau so wichtig, tauchen aber nicht in der Handelsbilanz auf, genauso wenig wie das Defizit, welches die reiseverrückten deutschen Touristen jedes Jahr produzieren. Fasst man das alles zusammen, invisible und visible Leistungen, dann kommt man auf die wirklich relevante Bilanz: die Leistungsbilanz. Die deutsche Leistungsbilanz ist fast ausgeglichen; es gab sogar
schon Zeiten, in denen sie negativ war. Warum niemand in der deutschen Regierung diese Zusammenhänge der französischen Wirtschafts- und Finanzministerin erklären kann, scheint mir ziemlich klar zu sein: Unsere Politiker begreifen sie selbst nicht.
Nun verstehe ich mich nicht als Missionar, der den »Südländern« unser Wettbewerbsmodell gleichsam von oben herab aufschwatzen möchte. Wenn sie sich, wie die Franzosen, mit einem zentralistischen System oder, wie die Italiener und Griechen, mit moderater Inflation wohlfühlen, dann sollen sie das. Sie können von mir aus auch eine zentrale Wirtschaftsregierung mit Sitz in Paris einführen, herzlich gerne. Aber sie mögen diejenigen Länder damit verschonen, die mit dem alternativen Kurs besser gefahren sind.
Leider steht zu befürchten, dass man auch die leistungsfähigen »Nordstaaten« einem gesamteuropäischen Wirtschaftsregime unterordnen will. Wenn erst die Wirtschaft zentralisiert ist, so meint man, gibt es keinen so brutalen Wettbewerb mehr, es wird gemütlicher, es fallen endlich die Anstrengungen weg, die man seinen Wählern so gern ersparen möchte: mehr Arbeit, weniger Freizeit, geringere Sozialleistungen, spätere Rente - das Wählergift wäre ein für alle Mal abgeschafft, und man müsste nicht länger fürchten, dass etwa ein Nachbarvolk diese Schwäche ausnutzt und einen ökonomisch in den Schatten stellt. Endlich würden alle gleich behandelt, und die französischen Revolutionsprinzipien »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« europaweit in den Volkswirtschaften durchgesetzt.
Wer diesen Alptraum für eine Übertreibung hält, sehe sich Vorschläge von Jean-Claude Juncker an, immerhin Vorsitzender der Euro-Gruppe. Er will eine Euro-Anleihe, die einen europäischen Durchschnittszins tragen soll - viel niedriger als der, der heute von Griechenland, Irland, Spanien und Italien bezahlt werden muss, aber viel höher als der, der heute in
Deutschland berechnet wird. Oder man erinnere sich an die Vorschläge von José Manuel Barroso, der sich immer wieder für eine eigene Steuerhoheit Brüssels ausspricht. Alles soll in einem Topf gesammelt und von einer Hand gleichmäßig oder, noch besser, »sozial gerecht« verteilt werden. Liest man in der Presse darüber, so findet sich nicht nur bei den deutschen Abgeordneten im Europaparlament viel Verständnis für dieses
Weitere Kostenlose Bücher