Rettungskreuzer Ikarus Band 002 - Das weiße Raumschiff
Vertrautheit
stieg in ihm hoch, als wäre da noch etwas gewesen ... doch kaum wollte
er sich diesem Gefühl stellen, da wurde der bohrende Schmerz noch drängender
und unerträglicher. Tränen traten dem Arzt in die Augen und ein unartikuliertes
Stöhnen drang von seinen Lippen. Er konnte keinen der Fäden erkennen,
die in seinen Kopf eingedrungen waren, doch hatte er das Gefühl, als würden
sie in seinem Gehirn einen Veitstanz aufführen. Anande erhob sich vom Fußboden,
auf dem er gehockt hatte und taumelte auf einen Sessel zu. Er tastete seinen
Kopf ab und namenloses Entsetzen erfüllte ihn, als er spürte, dass
sein Schädel in Riesenhafte ausgeweitet war, wie eine große, weiche
Amöbe auf seinem Hals saß und es beständig in ihm pulsierte
und arbeitete, als sei eine schwere Aufgabe zu vollbringen. Und dabei der andauernde,
permanente, in Wellen aufbrandende Schmerz, eine Agonie, die kein Bewusstsein
hatte, nur Gefühl an sich war und seinen Geist vereinnahmen wollte, so
sehr er sich auch dagegen sträubte. Anandes Blick fiel auf die widerspiegelnde
Glaswand des Laborbereiches und er sah sich selbst, wie er windend im Sessel
saß. Sein Kopf sah aus wie eine aufgeblähte Qualle, weich und nachgiebig.
Voller Schrecken erblickte Anande, dass seltsame, unfertige Gliedmaßen
von ihm abstanden und hilflos zuckten, wenn er sich bewegte. In stiller Qual
wurde ihm bewusst, dass sein Kopf aussah wie ein ins gigantische vergrößerter
Embryo eines fremden Wesens, dessen Existenz weit von dem entfernt war, was
man noch als normal und gesund bezeichnen konnte. Anande presste seine Augenlider
zu, um dies nicht länger mit ansehen zu müssen, doch das Wallen des
Schmerzes erinnerte ihn an die furchtbare Entstellung.
»Das kann nicht die Realität sein!«, redete er sich ein und versuchte
es mit Meditationstechniken zur Beruhigung. Als die Werber vom Raumcorps ihn
aufgegriffen hatten und feststellten, dass große Teile seiner Erinnerung
fehlten, hatte er diese Techniken erlernt, um die regelmäßig auftretenden
Anfälle von Hypernervosität zu bekämpfen, die ohne Zweifel Folge
einer mechanischen Gehirnwäsche waren.
Eines operativen Eingriffes.
Anande konnte etwas klarer denken. Die Mantras, die er konzentriert vor sich
hin murmelte, erleichterten sein Bewusstsein. Er begann, über seine Situation
nachzudenken.
»Dies muss eine Art von Illusion sein«, erklärte er sich selber.
»Ich war eben noch in der Mulde im fremden Raumschiff – jetzt in diesem
Labor. Alles sieht sehr real aus, und doch, mein Kopf ... ich muss mich von
dem Gedanken frei machen, dass dies Realität sei.«
Aber es ist Realität!
Anande zuckte zusammen. Durch die Mauern des Schmerzes hindurch hatte die Stimme
zu ihm gesprochen. Für einige Sekunden erwiderte der Arzt nichts.
»Nein«, sagte er schließlich laut, »dies ist nicht die
Realität, die ich kenne!«
Dies ist die Realität in dir!
Anande war verwirrt.
»Was hat diese ... diese Monstrosität auf meinem Hals mit mir zu tun?«,
brachte er schließlich hervor.
Was du Monstrosität nennst, ist in Wirklichkeit dein Kind, dein Geschöpf.
Es arbeitet hart, um dir zu gefallen, und du hast es so weit gebracht, diese
Arbeit zu tun. Erfreue dich an dem Ergebnis.
Etwas zwang seinen Kopf herum. Er sah, wie aus seinem Schädel Schläuche
und Zuleitungen wuchsen und eine seltsame Flüssigkeit aus ihm herausgepumpt
wurde. Sie floss in kleine Phiolen, die automatisch verpackt und etikettiert
wurden.
»Was passiert hier?«, stammelte Anande.
Dein Kind arbeitet. Die Früchte der Arbeit liegen bereit und es werden
ständig mehr. Du solltest stolz auf deine Schöpfung sein.
»Aber es ist mein Kopf!«, rief Anande verzweifelt aus. »Es ist
doch mein Kopf!«
Dein Kopf ist leer. Die Erinnerung an dein Kind wurde fast völlig ausgelöscht.
Und doch ist es groß, größer als dein Verstand und drängt
all dein Wissen und dein Können an den Rand. Ehe du dein Kind nicht akzeptierst
und das Wissen um deine Schöpfung annimmst, wirst du nicht das tun können,
wozu du wirklich fähig bist.
»Ich verstehe kein Wort!«, schrie der Arzt. »Ich erinnere mich
an keine Schöpfung!«
Das ist das Problem. Aber dein Gewissen scheint sich zu erinnern.
»Lass mich in Ruhe!«, forderte Anande verzweifelt. »Ich habe
mit dir nichts zu schaffen!«
Das ist nicht wahr. Doch ich werde dich in Ruhe lassen, keine Sorge. Du
Weitere Kostenlose Bücher