Return Man: Roman (German Edition)
sich. Seine geschundenen Muskeln hatten sich während der Fahrt verspannt, vermutete Marco, und nun brach auch die verschorfte Schusswunde wieder auf, als er sich streckte.
Mit bebenden Nasenflügeln steckte Wu sein Messer in die Scheide. » Sie gehen voran«, sagte er.
» Einen Moment.« Marco war plötzlich kurzatmig, als hätte er sich sehr angestrengt. Er nahm die AK -47 von der Waffenhalterung und durchwühlte den Rucksack des Reiters. Er holte drei volle Stangenmagazine heraus und steckte sie sich in die Gesäßtasche. » Ich weiß, dass das ein Friedhof ist, aber ein paar dieser toten Kameraden gehören vielleicht zu der › oberirdisch wandelnden‹ Sorte.«
Mit Wu im Schlepptau ging Marco den Pfad entlang. Das weiche, dichte Gras reichte ihm bis zur Hüfte und federte unter den Stiefeln. Er sah keinerlei Anzeichen von Leichen– weder zertrampelte Grashalme noch abgerissene Ranken, die darauf hingedeutet hätten, dass vor ihm schon jemand hier entlanggegangen war. Es gab jede Menge Spinnweben, die sich wie Schranken über den Pfad spannten. Er zerriss sie resolut und dachte, dass das nichts bedeuten musste– dass Danielle natürlich noch immer dort vorne sein konnte.
Oder etwa nicht? Doch, sagte er sich, vielleicht war sie vor ein paar Monaten dort hineingegangen und dann nicht wieder herausgekommen und ihre Spuren waren vom Gras überwuchert und die Spinnen hatten den Weg überspannt.
Das Herz schlug ihm bis zum Hals und drohte schier zu zerspringen. Er hatte die Vorstellung von einem riesigen roten, hämmernden Muskel, der so stark angeschwollen war, dass er ihm die Rippen zu brechen drohte…
In Abständen von vier bis fünf Metern ragten verwitterte Grabsteine aus dem Gras. Marco hatte San Jacinto immer gemocht, weil es eben kein Friedhof mit dem Charme eines Lagerhauses war, bei dem die Grabstellen dicht aneinandergequetscht waren. Hier hatte man die Gräber weitläufig verteilt und ihnen sogar noch ein großzügiges Rasenstück zugestanden. Das verlieh dem Friedhof eine persönliche und pietätvolle Anmutung. Wenn man ihn besuchte, konnte man tatsächlich glauben, dass die Toten in Frieden ruhten.
Er rieb sich die Augen und schluckte.
Er war fast da. Die Kalaschnikow zitterte schon in seinen Händen, bevor er sich dessen überhaupt bewusst wurde. Er hasste das– und wie er das haste…
Bitte, Delle. Bitte sei einfach hier.
Der Pfad verlief in einer Kurve um einen knorrigen Eichenbaum– er hatte einmal mit Danielle unter diesem Baum gesessen, sie an seine Brust gedrückt, während ihre Tränen sein Hemd benetzt hatten…
…und etwa fünfzehn Meter vor ihm standen zwei Grabsteine direkt nebeneinander.
Nur die Grabsteine.
Danielle war nicht da.
Er stieß heftig die Luft aus und gab ein gequältes Stöhnen von sich. Sein Gesicht schien Feuer zu fangen und zugleich von Tränen überströmt zu werden.
Gottverdammt. Gottverdammt, gottverdammt, gottverdammt.
Es gelang ihm immerhin, weiterzugehen und seine Seelenqualen vor Wu zu verbergen, der ihm auf dem Pfad folgte. Er konzentrierte sich darauf zu atmen… langsam die kühle Luft in die Lunge zu saugen…
Das ist in Ordnung. Es ist schließlich schon lange her.
Du wirst weiter nach ihr suchen, und du wirst sie irgendwann auch finden. Es werden sich noch viele Chancen ergeben.
Als er die Grabsteine erreichte, hatte er sich wieder gefangen– jedenfalls fast. Und dann flatterte wieder sein Herz, und er wurde in einen noch heftigeren Strudel gerissen, in eine noch schwärzere Tiefe. Er geriet in Panik.
Er hatte geglaubt, dem gewachsen zu sein. War er aber nicht.
Er ging am linken Grabstein vorbei. Amanda Pierce. Danielles Mutter.
Dann trat er noch einen Schritt vor und blieb direkt vor dem zweiten Stein stehen.
Er war kleiner und neuer. Eine steinerne Taube saß mit gespreizten Schwingen auf dem Grabstein, als wollte sie jeden Moment davonfliegen.
Der Raum schien sich um Marco auszudehnen, bis er schließlich den Eindruck hatte, der Grabstein zu seinen Füßen wäre kilometerweit von seinem hämmernden Kopf entfernt.
Und ganz weit unten, in schwarzen Buchstaben eingraviert, stand auf dem Stein:
Hannah Isabelle Marco.
7. Dezember 2012 – 9. Dezember 2012
Seine Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. Der Magen stülpte sich um.
Er schloss die Augen. Die Dunkelheit war zeitlos. Vergangenheit und Gegenwart verschmolzen miteinander, und plötzlich war Danielle neben ihm in dieser Leere. Lebendig– so wie er sie von diesem letzten
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