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Return Man: Roman (German Edition)

Return Man: Roman (German Edition)

Titel: Return Man: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.M. Zito
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Nachdem Wu sich vergewissert hatte, dass die Leiche ihm folgte, drehte er sich um und lief zehn Schritte auf die Stelle zu, die den Ausgangspunkt des Bergpfads markierte. Dann blieb er neben einem braunen Holzschild mit eingebrannten gelben Buchstaben stehen, die inzwischen verblasst waren:
    NIEMALS VOM RECHTEN WEG ABWEICHEN .
    Ein guter Rat, dachte Wu.
    Er winkte das Rudel der Leichen, das gemächlich hinter ihm hertrottete, zu sich.
    » Guhn whu zoe. Mir folgen!«
    Und sie folgten ihm, immer weiter den Pfad hinauf. Er musste eigentlich nur einen Sicherheitsabstand einhalten und gelegentlich stehen bleiben, damit sie ihn fast einholten und nicht das Interesse an ihm verloren. Jedes Mal ließ er sie gerade so nah an sich herankommen, dass er in ihren verschrumpelten Gesichtern den hungrigen Ausdruck sah, der ihm galt– schwarze Zungen, die ihnen wie bei Hunden aus schwarzen Mündern hingen–, dann zog er das Tempo wieder an und vergrößerte den Abstand, während die Leichen hinter ihm frustriert bellten und grunzten. Er hatte sie nun schon etwa drei Kilometer weit geführt. Und wieder zollte er den Toten Bewunderung. Sie waren zäh. Weigerten sich, die Niederlage zu akzeptieren.
    Der Pfad verlief in Serpentinen bergauf und schlängelte sich zwischen Teppichen aus gelben Wüstenblumen und dem aschgrauen Gestrüpp noch nicht erblühter Brittlebrush-Sträucher dahin. Ein Vogel mit langen Schwanzfedern, ein Wegekuckuck– auch als » Roadrunner« bekannt–, huschte über den Pfad und verschwand in westlicher Richtung im Unterholz. Allmählich schienen die Lücken im umgebenden Bergrücken immer größer zu werden, und dann kam weit über ihm ein Gipfelmassiv in Sicht.
    Flatiron – so hieß der Gipfel, wo die Amerikaner ihren Beobachtungsposten eingerichtet hatten und von dem aus sie das Tal überblickten. An Wus Standort fiel der Pfad zu einer Felsmulde hin ab, die von Wind und Wetter blank geschliffen worden war. Auf der gegenüberliegenden Seite stieg das felsige Terrain dann wieder an und führte zum Fuß einer langen natürlichen Treppe– steile Steinstufen, die noch einmal etwa tausend Meter bis zum Gipfel hinaufführten.
    Noch ein langer Weg. Länger, als er es sich vorgestellt hatte. Er holte tief Luft und fluchte. Kein einsames Training auf dem StairMaster in Boston hätte ihn darauf vorzubereiten vermocht.
    Er hörte, wie ein Stein an seinem Fuß vorbeirollte, und wurde sich bewusst, dass er unkonzentriert gewesen war, während er sich wegen der bevorstehenden Kletterpartie Gedanken machte. Die Leichen hatten aufgeholt. Mit grimmigem Blick setzte er den Aufstieg fort und lief zügig weiter; und just in diesem Moment torkelte die Horde in die Mulde hinter ihm.
    Zum ersten Mal verspürte er Besorgnis. Er lief zum Fuß der Flatiron -Treppe und sprang auf die unterste Stufe. Auf den nächsten hundert Metern hatte er freie Bahn. Die Leichen stolperten im unwegsamen Gelände über Steine und Wurzeln und fielen zurück. Der nackte Mann ruderte mit den Armen und schlug mit dem Gesicht nach unten auf dem Pfad auf. Mit einem vernehmlichen Platzgeräusch wurde der aufgeblähte Bauch von einem vorstehenden Stein aufgerissen, und eine Fontäne aus Blut und Schleim spritzte auf den Erdboden. Doch die vom Hunger getriebene Leiche war sofort wieder auf den Beinen und fletschte die Zähne. Der aufgerissene Bauch gab wie ein Fenster den Blick auf die Innereien frei. Die anderen Leichen setzten sich in Bewegung und nahmen die Verfolgung auch wieder auf.
    Auf halber Höhe der Treppe machte Wu sich nun doch ernsthaft Sorgen. Die toten Wanderer waren unermüdlich und bewegten sich noch immer genauso schnell wie vor einer halben Stunde. Vielleicht waren sie sogar noch schneller geworden, als würde die Frustration sie anspornen. Er wusste nicht, ob sie überhaupt Schmerz empfanden– ob die Toten aufgrund ihrer Physiologie die gleichen durch Übersäuerung der Muskeln verursachten Schmerzen verspürten wie lebende Sportler. Doch wenn das der Fall war, ignorierten sie diese Schmerzen.
    Seine Beine brannten jedenfalls wie Feuer. Er wurde sich bewusst, dass er langsamer wurde und nicht mehr schneller war als die Leichen. Sie kamen immer näher, nahmen ihm Meter für Meter ab.
    Er drückte eine Hand auf die Rippen und trieb sich noch einmal an. Er erwog nun auch, die Leichen abzuhängen– den Plan aufzugeben, indem er den Pfad verließ und die direkte Route über den Berg nahm, dessen schwieriges Terrain ihnen eine Verfolgung

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