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Return Man: Roman (German Edition)

Return Man: Roman (German Edition)

Titel: Return Man: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.M. Zito
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nicht einmal den Kopf. Drei weitere Leichen folgten ihm, und Wu erkannte betrübt– und mit Respekt–, dass die Toten doch intelligenter waren und logischer zu denken vermochten, als er vermutet hatte. Sie hatten das Interesse an ihm verloren und wurden stattdessen von den lärmenden Amerikanern angezogen. Da sie nun eine größere Beute-Population vor sich hatten, war Wu der Mühe nicht mehr wert.
    Er nahm eine Handvoll Kieselsteine vom Erdboden und warf sie in einer Staubwolke auf die vorüberziehenden Leichen. Ein Stein prallte von der Schulter einer jugendlichen Leiche in einem roten Baseballtrikot ab. Der Junge drehte kurz den Kopf, ging aber zielstrebig weiter. Die Leichen behielten die ursprüngliche Marschrichtung bei. Wu stieß einen zischenden Fluch aus. Er verlor sie auf dem Pfad schon aus den Augen.
    Nein, sagte er sich. Er breitete die Arme aus, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und kletterte mit unsicheren Schritten den Steilhang hinunter. Dann sprang er auf den Pfad und wäre dabei fast mit einem der toten Nachzügler zusammengestoßen. Die Frau im Bikini knurrte und schnappte nach ihm, doch Wu duckte sich weg und rannte am Rand des Pfades weiter bergauf.
    Innerhalb weniger Sekunden hatte er ein halbes Dutzend Leichen überholt. Ihr Gestank kondensierte förmlich in der Luft und löste bei ihm einen Brechreiz aus. Er spie einen Mundvoll zähen braunen Speichels auf den Pfad. Nach ein paar weiteren Schritten hatte er auch den nackten Mann überholt, der die Horde anführte– kurz vor der Biegung des Pfads, die sie unter die Amerikaner führen würde.
    Er drehte sich vor dem Mann um und blieb eine Armlänge von ihm entfernt stehen. Er spürte ein Kribbeln auf der Haut. Einer lebendigen Leiche so nah zu sein, war immer wieder aufs Neue spannend und aufregend. Die roten Augäpfel des toten Mannes beäugten ihn, und er konnte nur spekulieren, wie er wohl von der Leiche wahrgenommen wurde; er hatte das Gefühl, von einem geweihten Tempel aus betrachtet zu werden, den kein Mensch lebendig betreten konnte.
    Bis vor einem Monat hatte er noch keine Leiche in natura gesehen. Während des Ausbruchs war er in Peking stationiert gewesen; seine ersten Begegnungen mit den Toten waren in dunklen Lagebesprechungsräumen erfolgt, wo man unscharfe Nachrichtenvideos oder Satellitenbilder von verwüsteten, menschenleeren Städten analysierte. Die Auferstehung war Amerikas Nemesis, und der Rest der Welt schaute zu. Als er dann in Boston stationiert war, hatte er ständig Fox News gesehen, wo die Toten die politische Berichterstattung dominierten. Es wurde das immer gleiche Bildmaterial gezeigt, vor dessen Hintergrund die Agitatoren der Neuen Republikaner die Notwendigkeit betonten, wachsam zu sein. Auf den Videos waren Episoden aus dem Ausbruch dokumentiert– mit reißerischen Titeln wie kalifornischer Z-Tag, der Todesmarsch von Denver und das Massaker von San Antonio unterlegt. Der Gipfel der Geschmacklosigkeit war dann aber der Titel Mutter mit Kind, eine in den Medien beliebte Horrorszene– typisch amerikanischer Trash. Eine junge Mutter stolpert wie in Trance durchs Bild, den enthaupteten Körper eines fünf Jahre alten Jungen in den Armen. Dazu ertönt ein eigenartiges Stöhnen im Hintergrund. Sie haben ihm den Kopf abgerissen, sagt die Frau emotionslos, und dann wird die Kamera abgeschaltet.
    Wu hatte das alles fasziniert verfolgt. Angst hatte er jedoch keine verspürt.
    Und er hatte auch jetzt keine Angst.
    Er sprang vorwärts und schlug der Leiche auf die Schulter– ein harter Schlag, der einen weißen Handabdruck auf der violetten, verwesenden Haut hinterließ. Der Mann schnaufte überrascht, presste die Lippen zusammen und stieß ein Knurren aus. Wu ließ ihn einfach stehen und rannte zum Rand des Pfades zurück.
    Dort blieb er wieder stehen und hoffte, dass sein Kalkül aufgehen würde. Und tatsächlich drehte der Mann sich zu seiner Erleichterung langsam um und torkelte in seine Richtung. Die Leichen dahinter folgten ihm, sodass das ganze Rudel nun auf Wu zuhielt.
    Er hatte sie wieder unter Kontrolle.
    Nur um sicherzugehen, ließ er die ersten paar Leichen nah an sich herankommen– fast schon zu nah–, eine Phalanx aus ausgestreckten Armen und gefletschten Zähnen. Sie waren frustriert und hatten Hunger auf ihn…
    Das war nah genug. Wu zog sich zurück und lief vom Pfad zum Abhang, um sich vor der Horde in Sicherheit zu bringen. Doch dann knickte er auf dem unebenen Boden um, sodass er fast wieder

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