Return Man: Roman (German Edition)
so schwer wie Wu. Er packte den Mann am Fußknöchel und zerrte daran; die Leiche schlitterte ungefähr einen Meter über den Pfad. Wenigstens ging es bergab.
Er hatte den Mann schon ein Dutzend Meter weit geschleift, als er sich bewusst wurde, dass sein Plan noch eine Lücke aufwies. Idiot. Er verzog das Gesicht und sah zum Lager zurück.
Er musste noch einmal zurückgehen.
Vorsichtig erklomm er den Hang und streckte den Kopf über die flachen Felsen. Das Lager war ein einziges Schlachthaus: Blut, Innereien und schimmernde Fett- und Fleischbrocken waren über das rötliche Gestein des Bergs verteilt. Etwa zehn Leichen hockten um die toten Amerikaner herum– Nelson, Guerrero, Pozzo, so hatten sie geheißen–, doch zu Wus Glück lag der geköpfte graubärtige Sergeant unbeachtet an der Seite. Wu kroch aufs Plateau und schmiegte sich an die Felswand. Die Leichen schauten nicht auf. Sie genossen ihr Festmahl und waren damit beschäftigt, Knochen zu knacken, Bänder zu durchtrennen und Körpersäfte zu schlürfen. Wu hielt den Atem an. Ganz vorsichtig rollte er die Leiche des Sergeants zum Rand des Plateaus und ließ ihn hinunterfallen. Die Leichen schienen das nicht zu hören.
Unten auf dem Pfad ging Wu hastig zu Werke. Er zog sich die blutverschmierte Uniform des Sergeants an und achtete zugleich auf die kleinste Zuckung des leblosen Körpers des schwarzen Soldaten.
Was sollte er tun, falls der große Mann plötzlich mit einem Knurren aufsprang…?
Aber das Glück war ihm hold. Nach drei Stunden hatte er den Soldaten schließlich sicher auf dem Beifahrersitz des amerikanischen Siebentonners angeschnallt. Kurz darauf erwachte der Mann zu neuem Leben; das eine noch übrige Auge öffnete sich plötzlich mit hungrigem und wildem Blick, und die mächtigen Muskeln stemmten sich– vergeblich– gegen den Sicherheitsgurt. Der verstümmelte Körper war von der Hüfte abwärts bewegungsunfähig, und die Hände waren mit einem Seil gefesselt.
Mit der gefangenen Leiche fuhr Wu zu der Adresse, die er mit der GPS -App ausfindig gemacht hatte. Zu Henry Marcos Haus. Von einer versteckten Zufahrt weiter die Straße hinauf hatte er es ausgespäht. Das weitläufige Anwesen war einmal prächtig und stolz gewesen– das Heim eines reichen Amerikaners, hatte Wu voller Abscheu gedacht. Doch nun war der ganze Glanz verblasst, und der Palazzo ähnelte eher einem Schrottplatz, der von einem hohen Wall aus Abfall und Altmetall umgeben wurde. Wu wartete bis Sonnenuntergang. Dann verbrachte er eine schlaflose Nacht im Lkw. Der tote Soldat grunzte und zischte neben ihm in der Dunkelheit, und das Führerhaus des Lkw wurde von dem ekelhaften Gestank nach Fleisch und Fäulnisgasen erfüllt, der sich auch nicht verzog, nachdem er die Fenster geöffnet hatte.
» Es tut mir leid«, sagte Wu zu der Leiche– Baines, so war der Name gewesen. Das Schuldgefühl hämmerte wie ein zweites Herz in Wus Brust. » Ich wollte Sie nicht entehren.«
Die Leiche Baines knurrte und klapperte mit den Zähnen.
» Aber es muss sein«, erklärte Wu ihr. Bao Zhi würde das nicht gutheißen, sagte er sich. Bao Zhi, sein Onkel. Wu rieb sich die blutunterlaufenen Augen, um sie zu beleben.
» Vielen Dank«, sagte er zu Baines, und dann sagte er den Rest der Nacht gar nichts mehr.
Am nächsten Morgen schreckte er hoch, als Marco das Haus verließ. In sicheren Abstand folgte Wu dem amerikanischen Arzt nach Maricopa. Doch als Marcos Jeep wider Erwarten am Bahnhof vorbeifuhr, ohne anzuhalten, wurde Wu blass und glaubte schon, seine Chance wäre vertan. Er überlegte hektisch, und dann goss er Feuerzeugbenzin über den Vordersitz des Lkw und entzündete es…
…befreite Baines mit einem schnellen Messerschnitt von den Fesseln…
…richtete den Lkw auf den Bahnhof aus und sprang hinaus.
Der Lkw stürzte um, ging in Flammen auf, und Marco eilte zu Hilfe. Allerdings war die Aktion viel dramatischer ausgefallen, als Wu beabsichtigt hatte; seine spontane Brandstiftung hatte den Amerikaner in Gefahr gebracht. Was als Manöver gedacht war, um an den hippokratischen Eid des Arztes zu appellieren, wäre beinahe ein tödlicher Fehler geworden, als er unter den Lkw kroch.
Doch Wu hatte den Fehler korrigiert. Die beiden Männer reisten nun zusammen.
Da jetzt keine Leichen mehr zu sehen waren, fuhr der Jeep wieder langsamer die Straße entlang, die parallel zu den Bahngleisen verlief. Marco stieß ein hohles Pfeifen aus und entspannte den Kiefer. Dann klemmte er das Lenkrad
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