Return Man: Roman (German Edition)
nicht interessiert war.
» Mir gefallen sie jedenfalls. Vielleicht spendiere ich mir zum Geburtstag auch ein paar.« Marco sah ihn verstohlen von der Seite an. Wus linke Wange wurde von einem Bluterguss gezeichnet, der sich vom Kieferknochen bis zum Ohr hochzog. Und in der Mitte sah man deutlich die weißen Abdrücke von Fingerknöcheln.
Man hatte ihm vor Kurzem einen Schlag versetzt. Einen harten Schlag.
Marco runzelte die Stirn. Wer hat ihn geschlagen? Wu hatte nichts davon erwähnt. Nur seinen Kampf mit dem toten Mann, Baines. Hat Baines ihm ein Pfund verpasst?
Wieder keimte in Marco der Verdacht auf, dass Wu ihm etwas verschwieg.
Mist. Er gestand sich das zwar nur ungern ein, doch Wu verursachte ihm Unbehagen; ein Unbehagen, das über die natürliche Beklemmung hinausging, die ein Zivilist in der Anwesenheit eines Soldaten verspürte. Der stumm dasitzende Wu machte irgendwie den Eindruck eines Springteufels, der scheinbar friedlich in seiner Kiste hockte und nur darauf wartete, dass jemand so lange an dem Ding herumfummelte, bis er endlich herauskatapultiert wurde…
Marco seufzte und lockerte den Griff um das Lenkrad.
Na schön, scheiß drauf, sagte er sich.
Und scheiß auch auf Osbourne, dieses Arschloch von den Neuen Republikanern. Was auch immer diese beiden Schwachköpfe insgeheim planten, Marco war nur daran gelegen, Roger zurückzugeben und dann auf direktem Weg nach Hause zurückzukehren. Lebendig. Und an einem Stück. Dann soll Wu eben glauben, ich sei inkompetent oder ein Trottel oder ein Hindernis für diesen Auftrag. Oder auch alles zusammen. Ist mir schnurz.
Marco wusste es nämlich besser. Warte nur ab – morgen werde ich schon derjenige sein, der dir den Arsch rettet.
Er registrierte, dass Wu ihn interessiert beobachtete. Schnell bügelte er den grimmigen Ausdruck glatt, der sich in sein Gesicht gestohlen hatte. Pokerface, Henry, sagte er sich. » Wir sind jetzt definitiv in der Nähe von Yuma«, sagte er aus zugeschnürter Kehle und deutete nach rechts, damit Wu endlich seine grünen Augen von ihm abwandte. » Diese Berge dort sind die Harcuvars. Ihnen vorgelagert sind die Fortuna Foothills. Eine schöne Gegend zum Leben.«
» Nicht zurzeit«, bemerkte Wu.
Marco ignorierte ihn und ließ stattdessen den Blick über die trockenen braunen Gipfel schweifen. Plötzlich tauchte eine Erinnerung in seinem Kopf auf, über die er sich wunderte. » Als ich zum ersten Mal nach Arizona gekommen bin«, sagte er, » musste ich beim Anblick dieser Berge an diese alte Hemingway-Story denken: Hügel wie weiße Elefanten. Nur dass die Hügel hier aussehen wie goldene Katzen. Sehen Sie, was ich meine? Katzen mit mächtigen Schultermuskeln, zum Sprung geduckt. Und wir sind dagegen nur kleine Mäuschen.«
Es überkamen ihn noch mehr nostalgische Erinnerungen. » Wir hätten uns beinahe ein Haus hier gekauft. Fortuna.« Einen Moment lang verlor er tatsächlich den Bezug zur Realität, vergaß, aus welchem Anlass er überhaupt hier war, und vergaß, dass es Wu war, der neben ihm saß. Es war ein gutes Gefühl, einfach nur zu reden– nicht über Leichen und nicht über Verträge zu sprechen–, sondern einfach nur zu reden. Er hätte fast gelacht, als er sich bewusst wurde, dass er Small Talk machte.
» Woher kommen Sie eigentlich?«, fragte er Wu. » Ich meine, bevor das alles begann.«
Wu schien mit den Blicken die Harcuvars zu erklimmen und in den Bergen zu verschwinden. Ein Mundwinkel zuckte. » Von weit her«, sagte er mit einem Anflug von Bedauern. Er hielt inne. » Boston.«
» Vermissen Sie es?«
Die Gesichtszüge des Sergeants verhärteten sich wieder. » Nein.«
Marco schniefte. » Meine Güte, Verzeihung. Ich wollte doch nicht persönlich werden.« Er ließ ein paar Sekunden verstreichen, um die peinliche Situation aufzulösen, und unternahm dann einen neuen Versuch. Er war noch nicht bereit, die Erinnerungen fahren zu lassen. » Wie dem auch sei, Arizona ist gewöhnungsbedürftig, aber es ist auf seine braune und felsige Art auch irgendwie schön. Hier draußen hat man das Gefühl, als ob man… als ob man sich in einer anderen Welt befindet. Was in Anbetracht der aktuellen Lage vielleicht gar nicht das Schlechteste wäre. Wir haben dann drüben in Gold Canyon ein Haus gekauft. Mann, was für eine Aussicht– ein Unterschied wie Tag und Nacht zu LA . Die Superstition Mountains waren praktisch unser Hinterhof.«
Was für eine Ironie, hatte Danielle gesagt. Dass gerade du hier lebst – der
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