Return Man: Roman (German Edition)
Hundert Meter lang, aus elf aneinandergekoppelten Waggons. Weit voraus rostete eine riesige Lokomotive auf einer Gleiskurve vor sich hin. Verblasste pinkfarbene und grüne, mit vom Wind herangewehtem Staub überzogene Streifen zogen sich an der Längsseite der Waggons entlang. Die Fenster waren verdreckt.
Marco brachte den Jeep fünfzehn Meter hinter dem letzten Waggon zum Stehen. Er ließ den Motor laufen und betrachtete den Geisterzug. » Das ist der Sunset Limited«, sagte er.
Wu kratzte sich am Hinterkopf. » Wie weit noch bis zum nächsten Bahnhof?«
» Yuma. Nicht mehr sehr weit.«
» Gibt es einen Grund, weshalb ein Zug hier halten sollte?«
» Nein«, erwiderte Marco. » Zumindest keinen guten.«
Wu kurbelte das Fenster herunter und lauschte der Wüste.
» Scheint alles ruhig zu sein«, stellte er fest.
Keiner der beiden Männer sagte etwas. Wu hatte recht. Die Sonora schlief in der brütenden Hitze des Tages, und es war nichts zu hören außer dem Summen von Wüstenbienen und dem weit entfernten Ruf– ki-u, ki-u – eines Gilaspechts, der irgendwo im Schatten eines Kaktus saß.
Eine halbe Minute verging. Dann fragte Wu: » Hat er auch einen Speisewagen?«
Marco runzelte die Stirn. » Der Sunset? Sicher. Sie alle haben…«
Er verstummte mitten im Satz, als er begriff, weshalb Wu die Frage gestellt hatte, und bereute die Antwort sofort. Aber zu spät. Wu nickte und öffnete die Tür.
» Warten Sie«, sagte Marco schroff. » Was machen Sie da?«
» Ich will mich einmal umsehen.« Wu schwang die Beine aus dem Jeep und streckte die Arme zum Rücksitz aus. » Dieser Zug ist vermutlich nicht leer von Gila River abgefahren?«
» Da können Sie sicher sein«, sagte Marco mürrisch. Er hatte noch immer beide Hände am Lenkrad. » Ich wette, dass der Sunset Platz für zweihundert Passagiere hat, vielleicht sogar für zweihundertfünfzig. Das Personal noch nicht einmal mitgerechnet.«
» Ich verstehe.« Wu nahm seinen Rucksack und die Kalaschnikow vom Rücksitz. Er zog die Messer aus dem Rucksack und steckte sie sich in den Gürtel, dann hängte er sich das Gewehr über die Schulter.
Marco verspannte sich. Der Motor des Jeeps ließ seine Beine vibrieren und regte ihn zum Weiterfahren an. » Nicht so schnell«, sagte er. » Steigen Sie wieder ein. Wir werden um den Zug herumfahren.«
Wu beugte sich durch die Beifahrertür und schüttelte den Kopf. » Sie haben Ihre Verpflegung schon, Doktor. Und ich hole mir jetzt meine. Aber ich bin auch nicht leichtsinnig. Wir werden die Lage schnell sondieren. Und wenn alles in Ordnung ist– und nur, wenn alles in Ordnung ist–, können wir den Speisewagen durchsuchen. Nach ein paar Minuten sind wir wieder draußen und haben genug Essen, dass wir beide eine Woche über die Runden kommen. Oder würden Sie es lieber riskieren, im Zentrum der nächsten Stadt einem Supermarkt einen Besuch abzustatten? Wie viele Leichen wird es wohl in Yuma geben? Doch sicher mehr als zweihundert.«
Marco öffnete den Mund, sagte dann aber doch nichts. Denn Wu hatte recht. Mit den Vorräten im Jeep würden sie nur die Hälfte der Strecke schaffen; wenn sie zur Neige gingen, würden sie sie sowieso irgendwo ergänzen müssen. Wenigstens stand der Zug allein auf weiter Flur. Es war viel ungefährlicher, als einen Abstecher in die Stadt zu unternehmen.
» Sie vergeuden Zeit, Doktor«, fuhr Wu fort. » Falls es nämlich doch Leichen in diesem Zug gibt, sollten wir endlich handeln, bevor sie wissen, dass wir hier sind. Für den Fall, dass sie so hungrig sind wie wir.«
» Lustig«, sagte Marco. » Sehen Sie– wenn ich Ihnen mal einen Rat geben darf. Hier draußen ist überhaupt nichts einfach. Ich spreche aus Erfahrung. In diesem Moment scheint noch alles in bester Ordnung zu sein, und im nächsten steckt man schon bis zum Hals in der Scheiße. Diese Leichen haben so eine Art… ich weiß, es klingt verrückt, aber sie haben so eine Art, einen zu überlisten. Das liegt vielleicht daran, dass wir zu viel denken und sie sich nur vom Instinkt leiten lassen. Auf jeden Fall habe ich schon gesehen, dass einigen sehr intelligenten Leuten der Kopf abgerissen wurde, nur weil sie ein paar verweste Leichen unterschätzt hatten.«
Er zögerte. » Ihre Einheit, zum Beispiel.«
Wus Gesicht verfinsterte sich.
Marco wurde sich bewusst, dass er ins Fettnäpfchen getreten war. » Es tut mir leid«, sagt er. » Das ist mir so rausgerutscht.«
» Wenigstens sind Sie ehrlich.«
» Ob Sie es glauben
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