Return Man: Roman (German Edition)
oder nicht, ich möchte nicht, dass Sie einen schrecklichen Tod sterben.«
Wu sagte nichts. Er stand nur da und rückte sich das Gewehr auf dem Rücken zurecht. Dann entfernte er sich vom Jeep und ging vier oder fünf Schritte auf den letzten Waggon des Zuges zu. » Kommen Sie!«, rief er über die Schulter.
Scheiße, dachte Marco und fügte sich dann. Na gut.
Er durfte nicht zulassen, dass Wu dieses Risiko allein einging. Wenn der Mann auch noch so arrogant war, noch so seltsam und noch so starrköpfig– er hatte ihm in Maricopa das Leben gerettet. Wu war ohne Zweifel ein furchtloser Kämpfer.
Plötzlich überkam Marco die Erinnerung an das Video aus dem Gefängnis Sarsgard. An den Aufstand von tausend wilden, von Blut durchnässten Leichen. Er schauderte.
Die Wahrheit war, dass er Wus Hilfe in Sarsgard brauchen würde. Und jetzt brauchte Wu seine Hilfe, ob der Soldat sich das nun eingestehen wollte oder nicht. Wir müssen nicht gleich die besten Freunde werden, sagte Marco sich. Aber mein Gott, wir müssen zusammenhalten.
Marco trat sachte aufs Gaspedal und ließ den Jeep rollen, bis er Wu eingeholt hatte. » Hey«, rief er durch das offene Fenster. » In Ordnung, Sie haben gewonnen. Ich komme mit Ihnen.«
» Steigen Sie aus dem Jeep aus«, sagte Wu kurz angebunden und ging weiter.
Marco verdrehte die Augen. » Meine Güte, da will man nett zu Ihnen sein, und Sie machen es einem so schwer. Jetzt hören Sie mal für einen Moment auf, sich wie ein zickiger Teenager aufzuführen, und hören mir verdammt noch mal zu.«
Wu blieb stehen. Dann drehte er sich um und sah Marco skeptisch an.
» Steigen Sie ein«, sagte Marco. » Wir fahren bis zum Speisewagen und lassen den Jeep dort stehen. Mit laufendem Motor, damit wir gleich wieder verschwinden können. Es hat keinen Sinn, so weit entfernt zu parken.«
Wu ließ sich das einen Augenblick lang durch den Kopf gehen und nickte dann. » Einverstanden«, sagte er, öffnete die Tür und setzte sich wieder auf den Beifahrersitz.
Vorsichtig steuerte Marco den Jeep von den Gleisen hinunter auf das abfallende Wüstenterrain. Der Jeep kippte nach rechts, und Marco hörte, wie seine Tasche mit der Ausrüstung auf dem Rücksitz verrutschte. Wu hielt sich mit beiden Händen am Armaturenbrett fest.
Der Jeep fuhr im Schritttempo am Zug entlang. Die massiven dunklen Waggons hatten die Größe von Häusern. Der letzte Waggon war ein doppelstöckiger Schlafwagen, und durch die offene Tür in der Mitte sah Marco eine Metalltreppe im Schatten verschwinden. Mit konstanter Geschwindigkeit fuhr er am Eingang vorbei, ohne dass Wu Einwände erhoben hätte. Wenigstens hat er noch einen Rest von Verstand, dachte Marco. Am Ende des Zuges einzusteigen– und dann durch die schmalen Gänge der Passagierwaggons zum Speisewagen zu gehen– wäre verdammt riskant, und Marco hatte nicht vor, Selbstmord zu begehen. Jedenfalls nicht heute.
Der Jeep fuhr an einem fensterlosen Gepäckwagen vorbei, an den sich vier Waggons mit gerippten Wänden und vor Dreck blinden Scheiben anschlossen…
Plötzlich nahm Marco eine Bewegung wahr.
Hinter einem verschmutzten Fenster blitzte weiße Haut auf. Dann wieder Dunkelheit.
» Oh, Scheiße«, sagte Marco und reckte den Hals. » Haben Sie das gesehen?«
Wu nickte. » Wir halten uns von diesem Waggon fern. Der Speisewagen ist sowieso noch weiter vorne.«
» Sie sagten, nur, wenn alles in Ordnung ist. Danach sieht es aber nicht aus.«
Schließlich war der Jeep auf gleicher Höhe mit dem imposanten Salonwagen. Er überragte sie haushoch. Marco sah ihn langsam an sich vorüberziehen, und elf dunkle Fenster erwiderten seinen Blick wie die Augen eines Aliens. Das Oberdeck wurde von einer dicken Panoramascheibe überwölbt, durch das die Fahrgäste einen schönen Blick auf die Berge Kaliforniens und die funkelnden Sterne in den Wüstennächten hatten. Nur dass nun niemand mehr davon Gebrauch machte. Selbst von unten sah Marco, dass das Glas von etwas überzogen war, das an Schlieren und Spritzer von schwarzem Schlamm erinnerte.
Nur dass es kein Schlamm war.
» Dort ist alles mit Eingeweiden übersät«, sagte er.
Sie holperten nun am Speisewagen vorbei.
» Halten Sie den Jeep an«, sagte Wu. » Wir steigen hier ein.«
6 . 4
Marco zuckte beim Knirschen verrosteten Metalls zusammen. In der stillen Wüste schienen alle Geräusche verstärkt zu werden– ein dröhnender Weckruf für jede Leiche, die sich vielleicht im Zug aufhielt. Mein Gott, was für ein
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