Return Man: Roman (German Edition)
einmal und trat auf einen spröden Schädelknochen, der mit einem schauerlichen Knacken unter seinem Stiefel zerbarst. Er hielt sich an einer Tischkante fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und knüllte dabei das steife Gewebe des Tischtuchs zusammen. Im trüben Licht sah er einen dunklen Klecks auf dem Stoff. Einen blutigen Handabdruck– klein, von einer Frau. Als er wieder einen festen Stand hatte, ging er weiter.
In der Mitte des Waggons holte er Wu ein. Er stand an der kleinen Bedientheke und untersuchte ein rechteckiges, etwa fünfzig Zentimeter großes Loch in der Wand. Er leuchtete mit der Taschenlampe hinein. Ein schmaler Schacht verlief senkrecht nach unten.
» Ein Aufzug«, sagte Wu. » Um Essen hochzuschicken. Die Küche ist direkt unter uns.«
» Das weiß ich auch. Wir werden damit runterfahren.«
Wu warf ihm einen verwunderten Blick zu. » Das können Sie gern tun, Doktor. Ich nehme die Treppe.« Er richtete die Taschenlampe auf eine kleine Treppenflucht hinter dem Tresen.
» Sehr gut. Da bin ich aber froh, dass Sie wenigstens noch einen Rest gesunden Menschenver…«
Er hielt inne und riss den Kopf nach links herum. Spähte zum anderen Ende des Waggons.
» Was?«, fragte Wu.
» Psst.« Marco runzelte die Stirn und deutete den Gang entlang. » Leuchten Sie mal dorthin.«
Wu schwenkte die Lampe. Die Tür am anderen Ende war offen. Ein Haufen mumifizierter Leichen lag kreuz und quer im Eingang und blockierte die Tür.
Marco verspürte plötzlich ein flaues Gefühl im Magen.
» Wäre einfacher gewesen, von dort reinzukommen«, bemerkte Wu.
» Halten Sie die Lampe so«, sagte Marco und brachte die Glock in Anschlag. Dann ging er mit gesenktem Kopf ein paar Schritte weiter, ohne die offene Tür aus den Augen zu lassen.
Das Summen von Fliegen dröhnte ihm in den Ohren. Er verscheuchte sie.
Da war etwas anderes. Etwas, auf das er achten musste.
Ein paar Schritte weiter, hinter der Treppe, hörte er es wieder. Einen dumpfen Schlag.
Dann ein leises Schleifgeräusch. Dann wieder einen dumpfen Schlag.
Schritte.
Sein Puls raste. Er konzentrierte sich auf die rechteckige Türöffnung. Und zuckte zusammen, als eine bleiche Hand aus dem Schatten auftauchte und den Türrahmen packte.
Eine zierliche weibliche Hand.
Er verspürte eine plötzliche Euphorie. Danielle …
Nein, schalt er sich. Das ist nicht Danielle, du Blödmann.
Die Leiche einer älteren Frau schlurfte durch die Tür. Ein schwarzes Kleid hing ihr in Fetzen um den knochigen Leib und enthüllte verschrumpelte Brüste. Sie starrte Marco aus strahlend weißen Augen an, die tief in den Höhlen lagen. Strähnen von sprödem silbernen Haar hingen ihr ins Gesicht.
Und sie war nicht allein.
Zwei, drei… vier Leichen kamen angekrochen, und weitere folgten ihnen; blasse Gestalten schwankten in der Dunkelheit des nächsten Waggons. Ihr Ziel war der Speisewagen.
» Ich wusste es«, murmelte Marco. » Hab es verdammt noch mal gewusst …«
Reflexartig zielte er mit der Glock in die Mitte der Stirn der Frau und krümmte den Finger um den Abzug…
Hinter ihm fiel die Taschenlampe scheppernd auf den Boden.
Dunkelheit umhüllte ihn, als hätte man ihn in einen Sack gesteckt, und er verlor sein Ziel aus dem Blick. » Mein Gott!«, rief er, mehr verärgert als ängstlich, und wirbelte herum.
Er konnte nicht das Geringste sehen. » Wu!«
Die Taschenlampe rollte auf dem Boden langsam im Halbkreis herum und strahlte dabei die Wand an… Und dann rollte sie zurück und beleuchtete wieder die Theke.
Wu …
Plötzlich war Marco überhaupt nicht mehr verärgert. Plötzlich war er nur noch entsetzt.
Da war Wu. Er stand mit dem Rücken zur Theke, schlug wild um sich und kämpfte mit einer schwergewichtigen Leiche– einem fetten Ungeheuer in einem schmutzigen Zugschaffner-Hemd. An ihrem Gürtel baumelte noch die Schaffnerzange, und das kalkweiße Gesicht war bösartig verzerrt. Die Leiche schlang die mächtigen Arme um Wus Hals und zog ihn zu ihrem Mund hin.
Die Tische, begriff Marco endlich. Seine Gedanken drehten förmlich durch wie Reifen, die im Schlamm zu greifen versuchten. Darunter hatten sie nicht nachgesehen. Die Leiche musste von dort hervorgekrochen sein. Mein Gott.
» Dokt…«, sagte Wu, und dann rutschten seine Hände vom Tresen ab. Er fiel auf den Boden, wirbelte Knochen auf, und der tote Schaffner ließ sich auf ihn fallen.
Marco umklammerte mit aller Kraft die Brechstange und biss sich auf die Lippe. Los geht’s. Auf
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