Revolution - Erzählungen
wenn sie eines Tages Lust dazu haben.«
»Ja.«
Als ich zu meinem Onkel zurückkomme, steht ein Motorrad in der Einfahrt. Ein Mann erhebt sich auf der Veranda. Christian.
»Sharif«, ruft er und kommt mit ausgestreckter Hand auf mich zu. Ich schaue auf die ungläubige Hand. Schüttele sie.
»Bist du hier, um deinen Vater zu besuchen?«, will ich von ihm wissen.
»Ich wohne hier«, antwortet Christian. »Mit meiner Freundin, nicht weit von hier.«
»Deiner Freundin?«
»Ja, Rachel heißt sie. Ein Mädchen von der Küste bei Tanga.«
»Und was machst du in Moshi?«
»Ich betreibe die Disco im Golden Shower Restaurant. Du kannst morgen ja mal vorbeikommen. Dann trinken wir ein paar Bier.«
»Ich trinke nicht.«
»Hast du aufgehört?«
»Ich habe niemals getrunken.«
»Na ja, du hast doch schon mal ein Bier getrunken, als du hier in Moshi gewohnt hast.«
»Da war ich sehr jung und wusste nicht, was ich tat.«
»Und hier bei deinem Onkel? Sonntags haben die Männer auf der Veranda gesessen, Konyagi getrunken, Khat gekaut und Karten gespielt.«
»Das ist die Entscheidung meines Onkels. Ich bin nicht mein Onkel.«
»Na gut, dann trinkst du eben Limonade. Aber komm vorbei, ich habe die ganze gute Musik.«
»Das ist nicht seriös.«
»Was ist nicht seriös?«
»Disco. Das ist nichts für erwachsene Menschen.«
»Erwachsene?«, sagt Christian.
»Ja. Wir müssen uns wie Erwachsene benehmen.«
»Aber es gibt doch keinen Grund, das zu überstürzen.«
»Das Leben besteht nicht nur aus Spaß und Unterhaltung, es ist ernst.«
»Du bist es, der ernst ist«, widerspricht Christian. »Dem Leben ist das egal.«
»Du lebst ein gottloses Leben, mit diesem … Mädchen.«
»Worauf du einen lassen kannst, Sharif!«
»Und darum hast du dich verirrt.«
Christian schüttelt den Kopf.
»Diana hat mir erzählt, dass du so geworden bist, aber ich habe ihr nicht geglaubt«, sagt er und geht zu seinem Motorrad, tritt den Anlasser und fährt davon. Gut.
Mein Onkel gibt dem Lastwagenfahrer Yasir eine Schrotflinte. Yasir legt sie in der Fahrerkabine hinter den Vordersitz. Der Onkel kommt zurück zum Haus, bleibt mit in die Seiten gestützten Händen stehen und schaut abwechselnd auf den Lastzug und den Himmel. Bald wird es stockdunkel sein.
»Das ruiniert meine Verdauung«, sagt der Onkel auf Arabisch.
»Dass wir ein Gewehr dabeihaben?«
»Das Fuhrunternehmen ist eine Pflanze. Wir haben sie in der Erde vergraben und gesät. Wir haben sie gewässert und kultiviert. Und diese Barbaren wollen nichts anderes tun, als unsere Pflanzen mitsamt den Wurzeln ausreißen und verspeisen.« Mein Onkel spuckt in den Kies vor der Veranda und den gepflegten Blumenbeeten.
Ich stehe neben meinem Halbvetter Qasim, dem Beifahrer. Qasim raucht eine Zigarette. Abdullahi kommt mit einer kleinen Holzkiste, in die er Lebensmittel und Thermosflaschen für die Fahrt gepackt hat. Abdullahi ist Mulatte – halb Araber, halb Neger. Aber ein Mischling der ersten Generation, kein mswahili . Er ist rechtgläubig. Den ganzen Nachmittag hat er Chapati für die Reise gebacken. Und seine Chapati sind perfekt; Mehl, Öl und Wasser sind ausgezeichnet durchgeknetet, das Brot teilt sich in ganz dünne Streifen, wenn man ein Stück davon abbricht.
»Möge Allah euch beschützen«, sagt er. Ich steige in die Fahrerkabine. Yasir startet den Motor, und der Lastzug setzt sich langsam in Bewegung. Schwer beladen rollen wir aus der mit Kakteen eingefassten Einfahrt, durch das Eisentor in die frühe Dunkelheit. Der Sattelschlepper ist überladen. Auf vier Achsen knirschen die wertvollen Reifen über den Kies, bis Yasir mit einer gleitenden Bewegung das Lenkrad dreht und der Lastwagen auf den löchrigen Asphalt der Kilimanjaro Road biegt.
»Möge Allah euch beschützen!«, ruft Abdullahi noch einmal und winkt, dann schließt er das Tor zum Grundstück des Onkels. Nun bildet das Tor wieder eine unverbrüchliche Einheit mit dem Zaun, den oben drei Reihen Stacheldraht abschließen.
Yasir ist ein erfahrener Fahrer und sehr zuverlässig, obwohl er mswahili ist. Qasim ist sein Beifahrer. Aber irgendetwas ist mit Qasim nicht in Ordnung – man kann sich auf ihn nicht verlassen. Er hat die Schule abgebrochen, weil sie ihn ohnehin nicht interessierte. Ja, er gehört zur Familie, aber Vater hat ihn mit einer Frau aus dem Ort zusammengebracht – einer Christin. Ganz ohne Ehe und Anstand. Qasim rennt allen Mädchen nach. Er trinkt Bier, wenn er es bekommt. Ich weiß, dass
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