Revolution - Erzählungen
sie. »Nicht bevor eure Zeit gekommen ist.« Sabita schaut uns höhnisch an. Sie ist überhaupt nicht nervös. Der Katalog scheint interessante Männer zu enthalten.
Es dauert lange, bis ich einschlafe. Ich träume, wie ich mitten im Unterricht auf die Toilette muss, und auf dem Rückweg über den menschenleeren Flur kommt mir Savio aus einem der Klassenräume entgegen. Und er spricht mit mir, er sagt meinen Namen, sagt, wie hübsch er mich findet, und er nimmt meine Hand, berührt meine Wange … Lärm weckt mich. Vater ist aus dem Klub nach Hause gekommen, brummt und knallt die Tür zu. Kurz darauf schnarcht er, so dass selbst ich es noch hören kann. Ich gehe pinkeln. Er hat seine Sorgen ertränkt – der Geruch von Bier, Whisky und Zigaretten hängt im Flur.
Am nächsten Nachmittag wird Sabita nach dem Mittagessen zur Schule gefahren; die Oberstufenklassen haben auch am Nachmittag Unterricht. Padma und ich quengeln so lange bei Mutter, bis wir uns den Ehekatalog ansehen dürfen.
Wir blättern. Und suchen in der Exilgemeinschaft in Ostafrika, zu der Kontakte bestehen, nach einem Mann. Denn in Westafrika haben wir so gut wie keine Beziehungen. Und ein Mann aus Indien nützt uns gar nichts, denn er müsste erst einmal von Grund auf lernen, wie Afrika und die Schwarzen funktionieren. Der Mann, den ich suche, sollte Verbindungen in den Westen haben, in ein Land, das uns größere Sicherheit bieten könnte: England, Kanada, USA , möglicherweise sogar Australien. Die weißen Länder.
»Hier gibt’s keine guten Männer«, sage ich.
»Viele von ihnen sind gut. Was hast du gegen sie?«, will Padma wissen.
»Die sitzen alle in Kenia fest. Ich will reisen.«
»Wohin denn? Was hast du vor?«
»Ich will in der Schule so gut sein, dass ich ein Stipendium bekomme.«
»Du darfst aber nicht allein verreisen, wie soll denn das gehen? Du musst hier bei uns bleiben. Wir finden einen guten Mann für dich. Mach dir keine Sorgen.« Padma klingt genau wie Mutter. Ich mache mir Sorgen.
Beim Abendessen erzählt Vater, dass sie in dem Ehekatalog einen guten jungen Mann gefunden hätten. Er kommt aus einer ordentlichen, wohlhabenden Familie in Nairobi und ist mit uns durch einen Großonkel verwandt. Sabita zeigt uns sein Bild. Ich finde nicht, dass er nach etwas Besonderem aussieht, aber ich tue so, als sei er ganz fantastisch.
Am nächsten Tag nimmt Vater Kontakt mit der Familie auf, Mutter und Sabita besuchen ein frisch verheiratetes Mädchen aus unserer Gemeinde. Sabita will hören, wie alles abläuft, wenn man dem jungen Mann zum ersten Mal begegnet und sich mit ihm unterhält, um herauszufinden, ob es zu einer Verlobung kommen könnte.
Beim Tennis macht Samantha mir jedes Mal Angst. Ich beklage mich bei Mutter.
»Es ist unmöglich, dass ihr daran teilnehmen müsst«, sagt sie. »Sport ist etwas für Jungen.« Sie lässt unseren Hausarzt ein Attest ausstellen – für alle Zeit befreit aufgrund einer schiefen Wirbelsäule. Ich liefere das Attest im Büro des Direktors ab. Mr. Owen liest es und schaut auf meine Füße.
»Bei Rückenproblemen ist es nicht gut, in hochhackigen Sandalen zu laufen«, sagt er.
»Der Arzt sagt, ich darf das.«
»Hm«, brummt Owen und blickt auf seinen Schreibtisch. Ich bleibe stehen. Er schiebt ein paar Unterlagen hin und her, schaut auf. »Okay. Das ist so weit in Ordnung«, erklärt er, nickt und wedelt mich mit einer Handbewegung hinaus.
»Auf Wiedersehen, Mr. Owen«, verabschiede ich mich.
»Auf Wiedersehen, Naseen.«
Eine Woche später gehe ich in der Pause an Samantha vorbei.
»Wieso kommst du nicht mehr zum Tennis?«
»Ich bin keine Tennisspielerin«, erwidere ich und gehe weiter.
»Na, und ob du das bist!«, ruft sie mir hinterher. Ich verstehe dieses Mädchen nicht.
Vierzehn Tage später kommt die Familie aus Kenia – sie müssen einen Beamten geschmiert und eine Sondererlaubnis bekommen haben, um die derzeit geschlossene Grenze zu überqueren. Der junge Mann trägt einen neuen Anzug und geputzte Schuhe. Er sieht ganz nett, aber nicht besonders männlich aus. Sabita und er sitzen sich im Wohnzimmer gegenüber, jeder auf einem Sofa und tauschen verlegene Blicke, während die Mütter sich übers Essen unterhalten und die Väter sich grimmig über Politik austauschen.
»Ohne uns würde Tansania zusammenbrechen«, sagt Vater.
»Die Schwarzen zerstören das Geschäftsleben«, bekräftigt der andere Vater.
Sabita erhebt sich und bietet Gebäck und Tee an.
»Ja, Sabita hat alles
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