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Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Titel: Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Buchholz
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Offiziere erweitert, die behaupteten, »old friends« zu sein. Ich entschuldigte mich im Geiste permanent bei meinem Vater, denn er hätte die Veranstaltung gehasst. In meinem verzweifelten Bemühen, das Richtige zu tun, hatte ich genau das Falsche getan. Ich hatte ihn in ein Land zurückgebracht, in dem er schon lange nicht mehr zu Hause gewesen war. Ich hatte ihn in eine Wand schieben lassen, von der mich sein blumenumkränztes Foto traurig ansah. Und ich stand davor und wusste: Hier läuft was schief. Auf meiner Fensterbank wären wir beide besser aufgehoben gewesen.
    Nach der Beerdigung gab es fettiges Schmalzgebäck im Haus von Tante Grace und Onkel Luke, alle quatschten wild durcheinander, und es war kaum zum Aushalten. Ich machte noch ein bisschen gute Miene und versuchte, mich mit den Leuten zu unterhalten, aber alles wurde nur immer noch schlimmer, und so ließ ich eine von Onkel Lukes Bourbonpullen unter meinem Mantel verschwinden und verabschiedete mich von meinen Verwandten. Tante Grace rief mir ein Taxi. Als sie mich umarmte, bekam ich kaum Luft und fing zum ersten Mal an diesem Tag an zu heulen.
    »Honey«, sagte Tante Grace und strich mir übers Haar, »take care, Honey.« Mehr wusste sie dann auch nicht zu sagen, wir kannten uns ja überhaupt nicht. Ich glaube, sie waren alle heilfroh, als die tragikomische Figur aus Europa endlich wieder verschwunden war.
    Ich ließ mich vom Taxifahrer zum einzigen Hotel in Bellehaven bringen. Ich hatte mir von Deutschland aus ein Zimmer reservieren lassen, weil ich auf keinen Fall bei meinen Verwandten schlafen wollte. Aber als ich aus dem Taxi stieg, in der einen Hand meine Tasche, in der anderen Hand Onkel Lukes Flasche, dachte ich nur: Was für eine unglaubliche Scheiße.
    Das River Forest Manor sah aus wie Bates Motel im Südstaatenkostüm. Schwer, finster, unheilvoll. Ich ging die mächtige Eingangstreppe hoch, zahlte bei dem als Concierge getarnten zahnlosen Monster sechzig Dollar im Voraus, stieg in einen stinkenden Aufzug und versank in meinem Zimmer in einem dunkelroten Teppich. Ich stellte meine Tasche ab, zog die speckigen braunen Samtvorhänge zur Seite, machte das trübe Fenster auf, setzte mich auf den Fußboden, atmete die schwüle Luft und schon wieder Trauerweiden ein und setzte mir die Flasche an den Hals. Ich setzte sie erst wieder ab, als ich wirklich nicht mehr konnte, ich legte mich auf die burgunderrote Tagesdecke, ohne mich auszuziehen, und dämmerte durch die Nacht.
    Am Morgen hatte ich einen Geschmack im Mund, als hätte ich in ein Grab gebissen. Ich dachte darüber nach, meine Mutter in Wisconsin zu besuchen, ich war immerhin so nah bei ihr wie seit achtzehn Jahren nicht, seit sie mit diesem Vollidioten von Major abgehauen war und meinen Vater und mich hatte sitzenlassen. Ich stellte mir vor, wie es wäre, bei ihr zu klingeln, auszusehen, wie ich jetzt eben aussah, und zu sagen: Hallo, ich habe gestern meinen Vater beerdigt, den Typen, mit dem du eine Tochter hast, erinnerst du dich? Der hat es nie verkraftet, dass du uns verlassen hast. Der ist an gebrochenem Herzen gestorben. Und so wie ich mich gerade fühle, wünschte ich, ich wäre mit ihm gestorben. Was sagst du dazu?
    Ich bin nicht nach Wisconsin gefahren, ich habe nicht bei ihr geklingelt. Ich habe den nächsten Flug zurück nach Frankfurt genommen, ich habe unsere Wohnung verkauft, ich habe mir ein kleines Dachgeschoss gemietet, und ich habe angefangen, Jura zu studieren und meine gut durchdachte Bindungsangst zu kultivieren. Schon vor dem Tod meines Vaters war ich nicht gerade eine Frau für unbeschwerte Liebesgeschichten gewesen. Nach seinem Tod aber hielt ich mich bestimmt für fünf Jahre erst mal von allem fern, was mein Herz hätte in Gefahr bringen können. Und auch das, was ich danach hier und da mal versuchte, ist wirklich nicht der Rede wert. Ich würde sagen, ich bin eher der hölzerne Typ. Ich sehe es immer so: Fass das nicht an, dann kann es dich auch nicht berühren.
    Ich frage mich immer mal wieder, was aus mir geworden wäre, wenn ich in Bellehaven geblieben wäre, wenn ich nur so aus Sentimentalität versucht hätte, dort ein Leben zu führen. Ich habe das damals in keinem Augenblick gewollt, aber so wie ich drauf war, meine Güte, da wäre alles möglich gewesen, vielleicht sogar, in North Carolina hängenzubleiben. Bevor ich Bellehaven zum ersten und hoffentlich letzten Mal besucht hatte, war der Ort immer so was wie eine Heimat in Gedanken gewesen. Ich hatte

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