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Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Titel: Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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erblühte die Antenne aus dem breiten Rücken des Vakuumtanks wie eine schwarze Blume. Naqi betrat den Laufsteg, der zu ihr führte, und hielt sich am Geländer fest, aber das Schwindelgefühl war lange nicht so stark wie bei Tageslicht.
    Plötzlich erstarrte sie. Sie wurde beobachtet.
    In ihrem Augenwinkel tauchte ein Boten-Sprite auf. Er schwebte auf gleicher Höhe mit dem Luftschiff und folgte ihm in einer Entfernung von zehn oder zwölf Metern. Naqi stockte der Atem. Sie war begeistert, aber auch alarmiert. Von toten Exemplaren abgesehen, war sie noch keinem Sprite jemals so nahe gekommen. Der Organismus glich nach Größe und Form einem terrestrischen Kolibri, aber er leuchtete wie eine Laterne. Naqi erkannte sofort, dass es sich um einen Paketboten für die Fernübermittlung handelte. Sein Bauch war prall gefüllt mit Daten, die zu RNA-Knäueln verschlüsselt und in mikroskopisch kleinen Protein-Capsomeren eingeschlossen waren. Der Kopf des Paketboten war tränenförmig mit leuchtenden Pastellmarkierungen, aber bis auf zwei schwarze Augen oberhalb der Mittellinie völlig glatt. Im Innern befand sich ein Neuronencluster, in dem die Positionen der hellsten zirkumpolaren Sterne codiert waren. Davon abgesehen besaßen die Sprites nur eine sehr rudimentäre Intelligenz. Ihr Daseinszweck war es, Informationen zwischen den Knotenpunkten in den Ozeanen hin und her zu befördern, wenn die üblichen chemischen Signale dafür zu langsam oder zu ungenau waren. Wenn der Sprite sein Ziel erreicht hatte, wurde er von Mikroorganismen zerfressen, die sich in den Capsomeren entfalteten und die gespeicherten Informationen verarbeiteten, und starb.
    Und doch hatte Naqi nun ganz stark den Eindruck, der Sprite beobachte nicht nur das Luftschiff, sondern ganz speziell sie, wachsam und mit einer Neugier, bei der sich ihr die Nackenhaare sträubten. Und dann -gerade als sie unruhig wurde – machte der Sprite eine scharfe Wendung und schoss davon. Naqi sah ihn auf den Ozean hinabstoßen und über die Wasseroberfläche gleiten, wobei er wie ein Kieselstein immer wieder aufhüpfte. Danach stand sie noch minutenlang still. Sie war überzeugt, etwas Wichtiges beobachtet zu haben, wusste aber, dass dieser Eindruck sehr subjektiv war; wenn sie Mina morgen die Geschichte erzählte, würde sie damit wenig Aufsehen erregen. Und außerdem war schließlich Mina diejenige mit der besonderen Bindung an den Ozean. Mina war es, die sich bei Nacht die Arme kratzte; Mina, die einen so hohen Konformalitätsindex hatte, dass man sie nicht ins Schwimmerkorps aufnahm. Immer drehte sich alles um Mina.
    Nie um Naqi.
    Die metergroße Antennenschüssel stand auf einem breiten Sockel mit wetterfesten Steuerelementen und Displays. Jahrhundertealte Pelikan-Technik, genau wie das Luftschiff und der Fächer. Viele von den Schaltern und Anzeigen funktionierten nicht mehr, aber die Antenne konnte sich immer noch auf die funktionierenden Satelliten ausrichten. Naqi klappte den Fächer auf und kopierte die letzten Eingänge in den freien Speicher. Dann ging sie vor dem Sockel in die Knie, legte sich den Fächer auf den Schoß und sah die Post und den Nachrichtenüberblick des vergangenen Tages durch. Einige Freunde hatten Berichte aus den Schneeflockenstädten Prachuap-Pangnirtung und Umingmaktok geschickt, und ein alter Freund in der Schwimmercorps-Station auf dem Narathiwat-Atoll hatte eine Kollektion von Witzen zusammengestellt, die bereits überall in Umlauf waren. Sie scrollte sich mit gelangweiltem Grinsen durch die Liste, bis ihr einer, den sie noch nicht kannte, doch ein halbherziges Lachen entlockte. Weiterhin fanden sich ein Dutzend Auszüge aus den Arbeitsberichten verschiedener Fachgruppen, die sich für die Schieber interessierten, und eine Zeitschrift bat um ein Gutachten zu einem wissenschaftlichen Aufsatz. Naqi überflog die Zusammenfassung und kam zu dem Ergebnis, dass sie wahrscheinlich fähig wäre, eine Rezension zu liefern.
    Nun waren nur noch wenige Mails übrig. Dr. Sivaraksa teilte ihr mit, ihre offizielle Bewerbung um eine Stelle beim Seemauer-Projekt sei eingegangen und würde bearbeitet. Man hatte Naqi nicht zu einem Vorstellungsgespräch gebeten, aber sie hatte Sivaraksa vor ein paar Wochen in Umingmaktok kennen gelernt. Bei dieser Gelegenheit hatte er ihr durchaus Hoffnungen gemacht, aber Naqi konnte nicht beurteilen, ob sie einen guten Eindruck hinterlassen hatte, oder ob es nur daran lag, dass er kurz zuvor seinen Bandwurm gegen ein

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