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Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Titel: Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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schätzen.«
    »Das weißt du also zu schätzen? Und du findest, du hättest deine Dankbarkeit damit angemessen zum Ausdruck gebracht?«, rief sie, aber sie lächelte, und auch ich spürte den leisen Wunsch zu lächeln. »Das klingt immerhin nach dem alten Richard, wie ich ihn kenne.«
    »Das heißt, es besteht noch Hoffnung für mich. Und wenn Trintignant mit dir fertig ist, kann er mir meine frühere Gestalt zurückgeben.«
    Doch als wir das Shuttle erreichten, war Doktor Trintignant nirgendwo zu sehen. Wir suchten nach ihm, aber wir fanden nichts, nicht einmal Fußspuren, die von den Blasenzelten wegführten. Keiner der verbliebenen Anzüge fehlte, und als wir Verbindung zum Raumschiff im Orbit aufnahmen, wusste man auch dort nichts vom Verbleib des Doktors.
    Schließlich fanden wir ihn.
    Er hatte sich auf seine Operationsliege unter die formschönen schnellen chirurgischen Instrumente gelegt. Und die Maschinen hatten ihn fein säuberlich seziert und die Teile in ordentlich beschrifteten, mit Flüssigkeit gefüllten Glaskolben oder in Phiolen aufbewahrt. Biomechanische Eingeweideknäuel schwammen wie stachlige Quallen in der Konservierungsflüssigkeit. Implantate und andere Apparaturen glitzerten wie edelsteinbesetzte kleine Schmuckstücke.
    An organischer Materie war überraschend wenig vorhanden.
    »Er hat Selbstmord begangen«, sagte Celestine. Dann entdeckte sie seinen Hut – den Homburg. Er hatte ihn am oberen Ende der Operationsliege deponiert. Darin steckte, klein zusammengefaltet und in gestochen scharfer Schrift Trintignants Abschiedsbrief.
     
    Meine lieben Freunde,
    ich bin nach reiflicher Überlegung zu dem Entschluss gelangt, meinem Leben ein Ende zu setzen. Die Vorstellung, zerlegt zu werden, finde ich erträglicher als die Aussicht, auch in Zukunft für ein Verbrechen den Abscheu meiner Mitmenschen erdulden zu müssen, das ich, wie ich glaube, nicht begangen habe. Bitte versuchen Sie nicht, mich wieder zusammenzusetzen; das wäre, ich versichere es Ihnen, ein zweckloses Unterfangen. Ich hoffe jedoch, mit der Art meines Hinscheidens -und mit meinen sorgfältig katalogisierten Bestandteilen – künftigen Studenten der Cybernetik eine kleine Freude zu bereiten. Ich kann nicht leugnen, dass ich mich noch aus einem anderen Grunde dazu durchgerungen habe, diesen doch recht eindeutigen Schlussstrich zu ziehen. Denn schließlich hätte ich meinem Dasein auch schon auf Yellowstone ein Ende setzen können.
    Die Antwort ist, wie ich befürchte, vor allem in meiner Eitelkeit zu suchen. Dem Blutturm – und Mr. Childes freundlicher Vermittlung – verdanke ich, dass ich ein Werk fortsetzen konnte, das durch unerfreuliche Vorkommnisse in Chasm City so jäh unterbrochen wurde. Und Ihnen – die Sie so erpicht darauf waren, die Geheimnisse des Blutturms zu ergründen – verdanke ich Versuchsobjekte, die sich bereitwillig auch meinen weniger orthodoxen Behandlungsmethoden unterzogen.
    Besonders Sie, Mr. Swift, waren ein Himmelsgeschenk. Ich halte die Transformationen, die ich an Ihnen vorgenommen habe, für meine bisher größte Leistung überhaupt. Sie sind mein Opus Magnum. Dabei bin ich mir vollkommen darüber im Klaren, dass die Eingriffe für Sie lediglich Mittel zum Zweck waren, und dass Sie unter anderen Umständen meine Dienste niemals in Anspruch genommen hätten, doch das vermag die Großartigkeit des Ergebnisses in keiner Weise zu schmälern. Und hier, so fürchte ich, liegt das Problem. Ob Sie den Blutturm nun bezwingen oder -natürlich immer vorausgesetzt, Sie werden nicht von ihm getötet – vor ihm kapitulieren, mit Sicherheit kommt irgendwann der Moment, zu dem Sie in Ihre frühere Gestalt zurückkehren wollen. Und dann wäre ich gezwungen, mein Meisterwerk zu zerstören. Lieber sterbe ich.
    Ich bitte Sie demütigst um Vergebung und verbleibe – Ihr gehorsamer Diener
    T
     
    Childe kehrte nicht zurück. Nach zehn Tagen suchten wir den Bereich im Umkreis des Blutturms ab, fanden aber nur die Überreste, die schon vorher da gewesen waren. Wir mussten also wohl davon ausgehen, dass er sich noch im Innern befand, weiterhin auf dem Weg zur Turmspitze und zu allem, was ihn dort erwartete.
    Das machte mich nachdenklich.
    Was mochte letztlich der Sinn dieses Bauwerks sein? War es möglich, dass es nur zu seiner eigenen Selbsterhaltung existierte? Vielleicht lockte es die Neugierigen an und zwang sie, sich immer weiter anzupassen – selbst immer mehr zu Maschinen zu werden –, bis der Punkt erreicht

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