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Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Titel: Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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frisches Exemplar ausgewechselt hatte.
    Immerhin schrieb er, sie könne in ein bis zwei Tagen mit einer Entscheidung rechnen. Naqi überlegte kurz, wie sie es Mina beibringen sollte, falls sie die Stelle bekäme. Ihre Schwester stand dem ganzen Seemauerkonzept skeptisch gegenüber und wäre wohl nicht begeistert, wenn sie sich dort engagierte.
    Sie scrollte weiter. Ein Wissenschaftler in Qaanaaq bat um Zugriff auf Vergleichsdaten, die sie Anfang des Sommers gewonnen hatte. Vier oder fünf automatische Wetterberichte, Entwürfe zweier wissenschaftlicher Arbeiten, an denen sie sich beteiligte, und eine Einladung zur einvernehmlichen Scheidung von Kugluktuk und Gjoa in drei Wochen. Am Ende stand eine Zusammenfassung der neuesten Weltnachrichten – eine ungewöhnlich große Datei –, danach kam nichts mehr. In den letzten acht Stunden waren keine Eingänge mehr zu verzeichnen.
    Das war nicht weiter ungewöhnlich – das altersschwache Netz brach immer wieder einmal zusammen –, doch Naqi spürte zum zweiten Mal in dieser Nacht ein Kribbeln im Nacken. Es musste etwas geschehen sein, dachte sie.
    Sie öffnete die Nachrichtendatei und fing an zu lesen. Fünf Minuten später rüttelte sie Mina wach.
    »Ich will das einfach nicht glauben«, sagte Mina Ok-pik.
    Naqi beobachtete den Himmel und kratzte mühsam zusammen, was sie als Kind über die Sterne gelernt hatte. Wenn man die geringfügige Parallaxenverschiebung berücksichtigte, waren die alten Sternbilder auch von Türkis aus noch einigermaßen zu erkennen.
    »Ich glaube, da muss es sein.«
    »Was?«, fragte Mina verschlafen.
    Naqi deutete auf einen Teil des Himmels irgendwo zwischen Skorpion und Herkules. »Ophiuchus. Wenn unsere Augen empfindlich genug wären, könnten wir es jetzt erkennen: ein blaues Lichtpünktchen, so groß wie ein Nadelstich.«
    »Von Stichen habe ich bis an mein Lebensende genug«, sagte Mina und schlang die Arme um die Knie. Sie hatte das gleiche tiefschwarze Haar wie Naqi, nur bevorzugte sie einen kurzen, strengen Igelschnitt, der sie je nach Beleuchtung jünger oder älter aussehen ließ. Bekleidet war sie mit schwarzen Shorts und einer ärmellosen Bluse. Leuchtende grüne und indigoblaue Tätowierungen umrandeten die Pilzflechte, die in großen Flecken auf Armen, Schenkeln, Hals und Wangen wucherte. Naqi, die keine Tätowierungen und kaum Pilzflechtenmuster hatte, war unwillkürlich ein wenig neidisch auf den Schmuck ihrer Schwester.
    »Aber Spaß beiseite«, fuhr Mina fort. »Du hältst es nicht für möglich, dass es sich um einen Irrtum handeln könnte?«
    »Ich glaube nicht, nein. Siehst du, was hier steht? Sie haben es schon vor Wochen entdeckt, aber bisher nicht bekannt gegeben, um weitere Messungen durchführen zu können.«
    »Erstaunlich, dass nichts durchgesickert ist.«
    Naqi nickte. »Sie haben alles gut unter der Decke gehalten. Was nicht heißt, dass es jetzt nicht jede Menge Ärger geben wird.«
    »Hm. Und sie glauben, der Blackout nützt etwas?«
    »Ich schätze, der offizielle Funkverkehr kommt immer noch durch. Sie wollen nur verhindern, dass wir anderen das Netz mit endlosen Spekulationen überlasten.«
    »Was man uns nicht übel nehmen könnte, finde ich. Ich meine, jeder macht sich doch seine Gedanken?«
    »Vielleicht melden sie sich ja schon bald«, bemerkte Naqi skeptisch.
    Währenddessen war das Luftschiff über einen Meeresbereich gedriftet, dessen Oberfläche nur wenige biolumineszierende Lebewesen aufwies. Solche Zonen waren kaum weniger häufig als die Knotenregionen, wo das Netzwerk am dichtesten war, und erinnerten an die gähnende Leere zwischen den galaktischen Sternenhaufen. Das Kielwasser der Sensorkapsel war kaum zu erkennen, und ringsum herrschte tiefe Finsternis. Nur gelegentlich spendete ein einzelner verirrter Boten-Sprite ein wenig Licht.
    »Und wenn nicht?«, fragte Mina.
    »Dann stecken wir alle tiefer in Schwierigkeiten, als uns lieb sein kann.«
    Zum ersten Mal seit hundert Jahren befand sich ein Schiff im Anflug auf Türkis. Es hatte gerade angefangen, von der interstellaren Reisegeschwindigkeit herunterzubremsen. Seine Abgasfackel war genau auf das Türkis-System gerichtet. Messungen der Dopplerverschiebung der Flamme ergaben, dass es noch zwei Jahre entfernt war, aber das war auf Türkis kaum der Rede wert. Noch hatte sich das Schiff nicht gemeldet, aber selbst wenn sich herausstellen sollte, dass es nur in bester Absicht kam – zu einem kurzen Zwischenstopp vielleicht, um Handel zu treiben

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