Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit
Sie war mit ihren hohen Wangenknochen und dem breiten, sinnlichen Mund, der stets zum Lächeln oder Lachen bereit schien, die auffallendste und attraktivste Erscheinung von den dreien. Naqi hatte irgendwie den Eindruck, sie hätte etwas mit dieser Frau gemeinsam, einen privaten Scherz vielleicht, doch sicher vermittelte sie auch allen anderen Zuschauern dieses vage Gefühl von Komplizenschaft.
Crane fuhr fort: »In unserem eigenen System gibt es keine Musterschieber, aber das hindert uns nicht, unsere Forschungen auf diese Wesen zu konzentrieren und die Daten von den Welten, wo Schieber-Studien durchgeführt werden, miteinander zu vergleichen. Schon seit Jahrzehnten untersuchen wir Schlussfolgerungen und Theorien, Hypothesen und intuitive Erkenntnisse. Nicht wahr, Simon?«
Der Mann nickte. Seine Haut war gelblich fahl, und er trug ständig ein spöttisches Lächeln zur Schau.
»Es gibt keine zwei Schieber weiten, die vollkommen gleich wären.« Simon Matsubara sprach so klar und selbstbewusst wie seine Vorrednerin. »Und keine zwei Schieber weiten werden von Gruppen studiert, in denen die soziopolitischen Fraktionen der Menschheit genau im gleichen Verhältnis vertreten wären. Das heißt, wir müssen eine Unmenge von Variablen mit einbeziehen. Trotzdem glauben wir, Übereinstimmungen festgestellt zu haben, die von einzelnen Forschungsteams möglicherweise übersehen wurden. Diese Übereinstimmungen könnten sehr wichtig sein und Auswirkungen auf die gesamte Menschheit haben. Aber mangels eigener Schieber fällt es uns schwer, unsere Theorien zu überprüfen. Und hier kommt Türkis ins Spiel.«
Nun war der zweite Mann an der Reihe – er hieß Rafael Weir, erinnerte sich Naqi. »Türkis ist seit nahezu zweihundert Jahren fast völlig vom Rest des menschlichen Weltraums abgeschnitten.«
»Wir sind uns dessen bewusst«, sagte Jotah Sivaraksa. Es war das erste Mal, dass außer Tak Thonburi jemand von der Türkis-Delegation das Wort ergriff. Naqi hörte, dass er gereizt war, obwohl er sich große Mühe gab, das zu verbergen.
»Sie teilen Ihre Erkenntnisse nicht mit den anderen Schieberwelten«, sagte Amesha Crane. »Und – so weit wir wissen – hören Sie auch deren Kulturberichte nicht ab. Infolgedessen sind Ihre Schieberforschungen frei von allen externen Einflüssen – Sie berücksichtigen weder die neuesten Theorien noch die jüngsten bahnbrechenden Methoden. Sie verschanzen sich lieber in Ihrem Elfenbeinturm.«
»Wir sind auch in anderer Beziehung Isolationisten«, bemerkte Tak Thonburi. »Und ob Sie es glauben oder nicht, wir fühlen uns ganz wohl dabei.«
»Gewiss doch«, sagte Crane mit leichter Schärfe. »Aber das ändert nichts. Ihre Schieber sind eine natürliche Ressource, die noch nicht verunreinigt wurde. Wenn ein Schwimmer in den Ozean steigt, können seine Erinnerungen und seine Persönlichkeit vom Schiebermeer aufgenommen werden. Auch die Vorurteile, das Weltbild des Schwimmers werden unvermeidlich in irgendeiner Form auf den Ozean übertragen. Sie mögen verwässert und verzerrt sein, aber sie sind doch irgendwie präsent. Und wenn sich der nächste Schwimmer in das Meer begibt und seinen Geist öffnet, dann ist das, was er wahrnimmt – was er sichtet, wie Sie es auszudrücken belieben –, unwiderruflich verseucht von den Vorstellungen seines Vorgängers. Er mag etwas spüren, was seinen tiefsten Verdacht über das Wesen der Schieber bestätigt – aber er kann nie ganz sicher sein, ob er nicht nur das mentale Echo des letzten oder vorletzten Schwimmers aufgefangen hat.«
Jotah Sivaraksa nickte. »Das ist ohne Zweifel richtig. Aber bei uns lösen sich die Theorien ebenso ab wie überall sonst. Selbst auf Umingmaktok gibt es ein Dutzend verschiedener Forschungsteams, von denen jedes seine eigenen Ansichten vertritt.«
»Das mag schon sein«, sagte Crane mit einem hörbaren Seufzer. »Aber der Grad der Verseuchung ist, verglichen mit anderen Welten, dennoch gering. Vahishta verfügt nicht über die Mittel für eine Reise zu einer bislang unberührten Schieberwelt, also müssen wir uns mit der zweitbesten Lösung zufrieden geben, und das ist ein Besuch auf einer Welt, die einen möglichst geringen Grad von Verschmutzung durch die Kultur der Menschheit aufweist. Türkis entspricht diesen Anforderungen.«
Tak Thonburi zögerte einen Augenblick mit seiner Antwort, steigerte gekonnt die Spannung der Zuschauer. Naqi bewunderte ihn dafür.
»Schön. Ich bin … sehr erfreut … das zu hören.
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