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Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit

Titel: Reynolds, Alastair - Träume von Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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analysierten noch den kleinsten Informationskrümel zu Tode. Normalerweise wäre Naqi vor dem Trubel auf die andere Seite des Planeten geflüchtet. Aber diesmal fühlte sie sich von den Feierlichkeiten so stark angezogen, dass sie in einer an sich kritischen Phase des Projekts die Seemauer im Stich gelassen und sich den Flug hierher organisiert hatte. Sie konnte nur vermuten, dass es ihr darum ging, ein bestimmtes Kapitel in ihrem Leben abzuschließen, das in der Nacht vor Minas Tod begonnen hatte. Die Entdeckung des Ultra-Schiffs – inzwischen wusste man, dass es Stimme des Abends hieß – war Anlass für die Nachrichtensperre gewesen, mit der Mina gerechtfertigt hatte, dass sie beide versuchten, mit den Schiebern zu schwimmen. Damit waren für Naqi die Ultras indirekt verantwortlich für Minas Schicksal, was immer ihr auch zugestoßen sein mochte. Natürlich war das unfair, aber sie hatte trotzdem das Bedürfnis, die Ankunft mitzuerleben, wenn auch vielleicht nur, um die Besucher selbst in Augenschein zu nehmen und festzustellen, ob sie wirklich die Monster waren, zu denen ihre Phantasie sie gemacht hatte. So war sie, wild entschlossen, sich vom Rausch des Festes nicht anstecken zu lassen, nach Umingmaktok geflogen. Doch als sie jetzt, mit einem frischen Wurm an der Darmwand, in der Menge stand, die vor Aufregung regelrecht high war, ertappte sie sich dabei, wie sie die Atmosphäre wider Erwarten tatsächlich genoss.
    Jetzt hatten alle den fallenden Funken bemerkt.
    Die Menschen wandten den Blick zum Himmel. Musikanten, Zauberkünstler und Bauernfänger waren vergessen. Die Mädchen mit den Rucksäcken blieben stehen, legten zum Schutz vor der Mittagssonne die Hand über die Augen und starrten ebenfalls himmelwärts. Der Funke war das Shuttle der Stimme des Abends, die jetzt im Orbit um Türkis parkte.
    Inzwischen hatte jedermann Captain Moreaus Schiff gesehen, entweder mit eigenen Augen als wandernden Stern oder auf den Bildern, die mit Orbitalkameras oder Bodenteleskopen aufgenommen worden waren. Ein glattes, schwarzes, unerhört elegantes Raumschiff. Hin und wieder zündeten seine Synthetiker-Triebwerke für eine Bahnkorrektur, ein kurzes Aufblitzen, das der darunter liegenden Hemisphäre ein verlockendes Fenster in den Weltraum öffnete.
    Ein solches Schiff konnte einer Welt Schreckliches zufügen, und das war auch allen bewusst.
    Sollten Captain Moreau und seine Mannschaft allerdings Böses im Schilde führen, dann hätten sie inzwischen reichlich Gelegenheit gehabt, ihre Pläne in die Tat umzusetzen. Vor zwei Jahren hatten sie noch geschwiegen, aber ein Jahr vor der Ankunft hatte die Stimme des Abends die üblichen Anflugsignale gesendet und um Genehmigung für einen Aufenthalt von drei oder vier Monaten gebeten. Das war nur eine Formalität – niemand legte sich mit den Ultras an –, aber es war auch ein gutes Zeichen. Offenbar hatten sie vor, sich an die Spielregeln zu halten.
    Während des darauf folgenden Jahres war die Verbindung zwischen dem Schiff und dem Schneeflockenrat nicht mehr abgerissen. Offiziell hieß es, mit den vielen Botschaften sollten die Rahmenbedingungen für Verhandlungen und persönliche Handelsbeziehungen abgesteckt werden. Die Ultras mussten ihre Sprachprogramme aktualisieren, um sich nicht in den Feinheiten des Türkisischen zu verstricken, das sich zwar vom Canasischen ableitete, aber durch Elemente aus dem Inuit und dem Thai, Andenken an die besondere soziale Mischung der ursprünglichen Siedlerkoalition, für Fremde ziemlich verwirrend sein konnte.
    Das Shuttle hatte auf Überschallgeschwindigkeit abgebremst, der Abgasstrahl aus ionisierter Luft erlosch. Nun kreiste es in einer langsam enger werdenden Spirale über Umingmaktok. Mit jedem Umlauf reduzierte sich seine Geschwindigkeit weiter. Naqi hatte sich bei einem der Händler ein billiges Fernglas geliehen. Die Linsen waren zerkratzt und mit einer rosa schillernden Pilzschicht bedeckt. Wenn sie das Glas auf das Shuttle richtete, verschwamm das deltaförmige Gebilde immer wieder. Erst zwei oder dreitausend Meter über Umingmaktok wurde es endlich scharf. Es war sehr schnittig und so strahlend weiß, als wäre es aus Wolken gemacht. Unter dem mantaförmigen Rumpf drehten sich komplizierte Maschinen – Ventilatoren und Steuerelemente – so schnell, dass sie nur als verwaschene Flecken zu erkennen waren. Endlich schwebte das Schiff auf gleicher Höhe mit der Schneeflockenstadt. Über dem Lärm der Menge – die verzückt

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